BILL BRYSON: SOMMER 1927
Wenn jemals der Werbeslogan Nichts ist unmöglich auf ein Land und eine
bestimmte Ära zutraf, dann auf die USA in den 20er Jahren, als sie wirklich in fast jeder
Hinsicht das Land der unbegrenzten Möglichkeiten waren. Diesem Phänomen hat sich der
berühmte Reiseschriftsteller Bill Bryson mit seinem Buch Sommer 1927
gewidmet.
Zwar waren gleich etliche jener Jahre zwischen der Erholung vom Ersten Weltkrieg und dem
Schwarzen Freitag von 1929 von Prosperieren und sprühendem Vorwärtsstreben
geprägt, der Aufhänger gerade für dieses Jahr aber ist der sensationelle Alleinflug von
Charles Lindbergh im Mai 1927 über den Atlantik ohne Zwischenlandung. Natürlich findet
diese Heldentat breiten Raum in den vielen Abhandlungen, die dabei durchgehend sehr
flüssig zusammengefügt sind.
Auch sonst ist 1927 ein wild bewegtes, aufregendes Jahr mit vielen folgenreichen
Ereignissen, allen voran fatale Beschlüsse in der Finanzwelt, die den Grundstein für die
spätere Weltwirtschaftskrise legten. Noch aber boomt der Aktienmarkt wie verrückt, die
Filme lernen das Sprechen und es gibt solch verrückte Projekte wie die monumentalen
Präsidentenköpfe am Mount Rushmore, eingemeißelt in eine unzugängliche Felswand, oder
die ersten funktionsfähigen Fernsehapparaturen. Andererseits sorgt Henry Ford mit dem
neuen A-Modell für einen Sturm auf die Autohäuser, den er jedoch dank
Produktionsversäumnissen nicht zufriedenstellen kann.
Die junge kraftstrotzende Weltmacht hat eben die Grenzen für Einwanderer geschlossen,
zugleich ist es die Hochzeit für Al Capone und die Mordraten im Riesenland sind um ein
Vielfaches höher als heutzutage. Es herrschen gesellschaftlich und politisch sehr freie
Verhältnisse mit so viel Staatsferne, dass sich Washington und sein konservativer
Präsident Coolidge auch raushalten, als eine Jahrhundertflut riesige Gebiete entlang des
Mississippi überschwemmt und Tausende umkommen. Vom Mann im White House erfährt man
allerdings, dass er dort eine Affäre unterhielt und vielleicht verkündete er ja auch
deshalb überraschend, dass er nicht zur Wiederwahl antreten werde.
Mögen die Verhältnisse weitgehend so gewesen sein, wie sie sich Tea Party-Anhänger
zurückwünschen würden, so brachte 1927 auch viele technische und kulturelle Neuerungen
hervor. Einige wahrlich skurrile Passagen reizen auch zum Schmunzeln zum Beispiel über
witzige Erfindungen oder die immer neuen Rekordversuche nicht nur wagemutiger Flieger. Und
selbstverständlich nehmen bei einem solchen auf die USA fokussierten Buch die für dort
typischen Sportarten und ihre Helden wie ein Babe Ruth einen erheblichen Raum ein.
Trotz dieser US-Lastigkeit bietet dieser vielfältige und sehr unterhaltsam verfasste
Rückblick auf ein auch historisch durchaus wegweisendes Jahr viele sehr interessante
Aspekte und das ein oder andere Aha-Erlebnis. Nicht zuletzt hilft die Lektüre, manche
folgenden Entwicklungen bis in die Gegenwart besser zu verstehen.
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