PAUL THEROUX: „DER FREMDE IM PALAZZO d'ORO“


Paul Theroux hat einen großen Ruf als Reiseschriftsteller und Romancier, vor einigen Jahren aber überraschte er mit einer hinreißenden pikanten Liebesgeschichte der besonderen Art. Nun liegt dieses zeitlose Juwel endlich unter dem Titel „Der Fremde im Palazzo d'Oro“ auch auf Deutsch vor.
Schon der Einstieg ist meisterhaft, wenn da ein wohlsituierter amerikanischer Maler, der es sich mit einigem Erfolg leisten kann, den angesagten Trends der Kunstszene nicht zu folgen, erklärt: „Dies ist meine einzige Geschichte. Jetzt, mit 60 Jahren, kann ich sie erzählen.“ Damit führt er den Leser in das noch malerische Taormina im sizilianischen Sommer des Jahres 1962. Der Student Gil, 21 und so gut wie mittellos, hat es auf seinem Europa-Trip mit seinem Skizzenbuch hierher in die Idylle am Fuße des Ätna verschlagen.
Nun als Mann in den besten Jahren – und die autobiographische Nähe zum Autor drängt sich regelrecht auf – schaut er wie damals durch das schmiedeeiserne Gittertor des mondänen Hotels „Palazzo d'Oro“. Und da saß dieses eine Paar beim Speisen, sie eine elegante Dame, goldblondes Haar und grazile Figur, er ein dunkler Typ mit Hakennase und offensichtlich deutlich älter. Das Bild springt den jungen Mann unversehens so mächtig an, dass da sofort der ungebärdige und sicherlich auch von einem Hauch Neid geprägte Wunsch entsteht, bei ihnen mit am Tisch zu sitzen: „Ich will euer Leben leben.“
Zuweilen spielt das Schicksal seltsame Kapriolen, jedenfalls findet sich Gil tatsächlich umgehend als Gast mit eigener Suite wieder, eingeladen vom arabischstämmigen Haroun, der sich als Arzt und Reisebegleiter der geheimnisvollen Schönen erweist, und nicht als ihr Liebhaber. Vielmehr verrät ihm der weltmännische Herr, dass Gil mit seinem jugendfrischen Charme die Dame – eine deutsche Gräfin, wie sich herausstellt – umwerben und sie als Lover in ihrer Einsamkeit trösten soll.
Der mysteriöse Kuppler sorgt für angemessene Kleidung und anderes mehr und genießt für sich selbst die jetzt einsetzende Freiheit für seine homosexuellen Neigungen. Der intelligente aber doch noch arg naive Student bemüht sich nun, der Gräfin nicht nur ihre vielen kleinen Wünsche zu erfüllen, die teils in hochnäsigen Bosheiten gipfeln, begleitet von wortkargen Herabwürdigungen.
Dabei gibt sie sich so spröde und herrisch, dass der beflissene Gil zum Lakaien wird, andererseits weiß er gewisse laszive Anspielungen durch scheinbar unbewusste exhibitionistische Gesten nicht recht zu deuten. Umso mehr steigern dieses unberechenbaren Widersprüche sein Begehren wie auch eine gewisse Wut. Doch er wäre unfähig, sich dem morbiden Zauber und noch mehr dem einmal genossenen Luxus zu entziehen.
Dann jedoch brechen ganz plötzlich alle Dämme und es setzt ein Tag- und Nacht-Wechselspiel erotischer Exzesse ein, das weit jenseits der bisherigen Vorstellungskraft des 21-Jährigen liegt. Tagsüber bleibt die mondäne Gräfin arrogant wie zuvor, in den Nächten dagegen erweist sie sich als geradezu unersättlich in ihrer sexuellen Gier. Für ihn jedoch ist das Faszinierendste ihre hündische Ergebenheit bei den Liebesspielen, bei denen sie ihre teils neckisch altmodischen Dessous nie ganz ablegt und auf Dunkelheit besteht.
Der Rausch der Begierden voller Hingabe und Unterwerfung und das wiederum bis zum Exzess findet in Therouxs ebenso leichtfüßiger wie anmutiger Prosa die kongeniale explizite Schilderung bis an die Grenzen der Pornographie, während inhaltlich an die alten Meisterwerke italienischer Filmkunst der 50er Jahre erinnert wird. Wie allerdings das Geheimnis der Gräfin zu einer lebenslang gehorteten bittersüßen Erinnerung des Ich-Erzählers wurde, sei hier nicht verraten, meisterlich gelungen jedenfalls ist auch das Finale.
Der virtuose und dabei ebenso poetische wie zuweilen zupackende Kreis des Erzählten schließt sich mit den Avancen eines jungen Flittchens, das den jetzt reifen Herren aus weit weniger romantischen Avancen heraus zu becircen versucht, als dies Gil im hitzigen Sommer von 1962 an selber Stelle so unvergesslich tat. Fazit: eine grandios gelungene Novelle, die mit flirrender erotischer Spannung bezaubert und überdies wunderbar ins Deutsche übertragen wurde.

# Paul Theroux: Der Fremde im Palazzo d'Oro (aus dem Amerikanischen von Gregor Hens); 176 Seiten; Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg; € 18


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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