JOAN SCHENKAR: „DIE TALENTIERTE MISS HIGHSMITH“


20 Jahre ist es jetzt her, dass mit Patricia Highsmith (1921-1995) eine der Königinnen der Kriminalliteratur starb. Von ihrem Freund Truman Capote an die Saratoga Springs Künstlerkolonie „Yaddo“ empfohlen, schrieb sie dort 1948 ihren Roman „Zwei Fremde im Zug“, der gleich ein großer Erfolg und später von Alfred Hitchcock verfilmt wurde.
Wer Patricia Highsmith jedoch wirklich war, das versuchte sie selbst intensiv und mit so manchen Vertuschungen zu verheimlichen. Dennoch ist es Joan Schenkar gelungen, auf der Grundlage jahrelanger Recherchen einschließlich dem Enträtseln endloser Tagebuch-Eintragungen wie auch in zahlreichen Interviews mit Zeitgenossen eine umfangreiche und sehr detaillierte Biografie zu verfassen. Unter dem Titel „Die talentierte Miss Highsmith. Leben und Werk von Mary Patricia Highsmith“ liegt diese nun endlich auch auf Deutsch vor.
Die schwierige Bestsellerautorin, die seit den 70er Jahren dauerhaft in Europa lebte und schließlich in der Schweiz verstarb, sei verschwiegen wie eine Auster über sich selbst gewesen. Und Schenkar lässt bei aller Bewunderung für das Lebenswerk Highsmiths keinen Zweifel daran, dass diese nicht nur ein äußerst schwer zugänglicher sondern sogar ein regelrecht unsympathischer Mensch war, der allen, die mit ihm zu tun hatten, den Umgang mit ihr schwer machte.
Offenbar waren diese Verhaltensweisen schon in der Kindheit angelegt. Neun Tage nach der Scheidung der Eltern geboren, hatte sie ein extrem intensives Verhältnis zu ihrer Mutter. Die war elegant, künstlerisch und sprunghaft und wie alsbald auch die Tochter „eine emotionale Taschenspielerin und entschiedene Primadonna“. Kein Wunder, dass das ebenso enge wie kontroverse Verhältnis später völlig zerbrach. Erschwerend kam für Patricia hinzu, dass sie sich schon früh im Inneren als ein Junge wähnte und damit zu einer Zeit lesbisch war, als das noch absolut inakzeptabel war und unbedingt geheim gehalten werden musste.
Doch ohnehin neigte Patricia Highsmith ein Leben lang in allem, was sie tat, zur Ambivalenz. So hatte sie zwar hunderte von Affären mit Frauen, schlief aber auch mit einigen, teils namhaften Männern. Unter ihnen wiederum waren auch Juden, obwohl sei offen antisemitisch war. Allerdings hatte sie ebenso Abneigungen gegen Schwarze, Katholiken, Südländer und viele andere mehr. Zugleich wechselte sie ihre politischen Präferenzen häufig in kürzesten Abständen von kommunistisch zu liberal bis hin zu faschistisch und wieder andersherum.
„Ihre Bücher waren ihr Leben“, konstatiert die Biografin, und darin habe die komplexe Persönlichkeit mit all ihren Süchten und Phobien ihren wahren Niederschlag gefunden. Während sie den Lesben-Roman „Salz und sein Preis“ Anfang der 50er Jahre wohlweislich unter dem Pseudonym Claire Morgan veröffentlichte, wurde „Der talentierte Mr. Ripley“ ihr Paradestück schlechthin. Schenkar mutmaßt, dass das P bei Thomas P. Ripley eigentlich für Patricia steht, denn dieser Sensationserfolg um einen völlig unmoralischen jungen Mann beinhalte ganz viel Patricia Highsmith in sich.
Zwanghaft chaotisch und nach außen hin ständig darauf bedacht, ihr wahres Ich zu verbergen, tat sie sich schwer mit Beziehungen, von denen keine hielt. Waren ihre brillant geschriebenen Krimis düster und zynisch, so stand ihr hier ausgebreitetes Wesen dem kaum nach. Bis zur Schrulligkeit gingen die Verhaltensweisen zum Beispiel bei den Ess- bzw- Nicht-Essgewohnheiten, wogegen der Alkohol reichlich floss und sie neben einer großen Katzenliebe eine Obsession für Schnecken hatte.
Jagte sie jahrzehntelang einer Liebschaft nach der anderen hinterher – derer sie zuweilen gleich mehrere parallel unterhielt und diese in den vielen hinterlassenen Aufzeichnungen teils sogar nach deren persönlichen Qualitäten einordnete – so verließ die Frau mit den „vielen perversen kleinen Liebhabereien“ insbesondere nach der steuerbedingten Vertreibung aus Frankreich ihr späteres Haus in der Schweiz nur noch aus beruflichen, medizinischen oder sexuellen Gründen.
Mag die begnadete Schriftstellerin auch eine ebenso tragische wie unsympathische Persönlichkeit gewesen sein, der Joan Schenkar dankenswerterweise keinen mildernden Zuckerguss der Verehrung wegen ihres Lebenswerkes übergießt, so ist ganz objektiv ihr Fleiß zu würdigen. Über 20 große Romane, unzählige Kurzgeschichten, Artikel und vieles mehr hat sie verfasst. Hinzu kamen neben den 8000 Seiten persönlicher Aufzeichnungen in Tagebüchern und „Cahiers“ - selbst hier mit Verfälschungen und Verdrehungen, wenn sie es für nötig hielt! - auch noch Bücher mit Zeichnungen, Skulpturen und sogar handgefertigte Möbel.
Fazit: Heimlichtuerei, Lügen und Täuschen waren Patricia Highsmiths Lebensinhalt, aber gerade das Amoralische machte ihre Romane ja so außergewöhnlich und – mal ehrlich – man muss den Verfasser eines großartigen Buches ja nicht unbedingt persönlich mögen. Diese Biografie ist jedenfalls trotz der wenig Sympathie heischenden Zielperson hochinteressant und voller oft verblüffender Details.

# Joan Schenkar: Die talentierte Miss Highsmith. Leben und Werk von Mary Patricia Highsmith (aus dem Amerikanischen von Renate Orth-Guttmann, Anna-Nina Kroll und Karin Betz); 1069 Seiten, div. Abb.; Diogenes Verlag, Zürich; € 29,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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