JOHN BURNSIDE: „HAUS DER STUMMEN“


Schon der Einstieg in den Debütroman des schottischen Erfolgsautors John Burnside, der nun mit 17 Jahren Verspätung endlich auch auf Deutsch vorliegt, offenbart die morbide Meisterschaft dieses Romanciers der düsteren, beklemmenden Geschichten.
„Haus der Stummen“ eröffnet seinen monströsen Parforce-Ritt mit einem Ich-Erzähler, der unzweifelhaft ein Psychopath ist. Bereits in den ersten Sätzen berichtet er mit kühler, sachlicher Überlegenheitsattitüde vom Einschläfern seiner beiden Laborratten mit Gift. Allerdings handelt es sich hier um Zwillingskinder im Alter von elf Monaten, die er nicht nur selbst gezeugt sondern auch bei der Geburt eigenhändig auf die Welt gebracht hatte.
Doch dieser Luke in seinem Häuschen irgendwo im ländlichen England hat schon früh eine heftige Vorliebe fürs Sezieren entwickelt. Wenn man dazu erfährt, wie sehr ihn seine schöne, sehr unterkühlte Mutter bis zu ihrem von ihm sehr aufmerksam begleiteten Tod über das Wesen des Lebens bis hin zu Theorien über den Sitz der Seele gewissermaßen indoktriniert hat, ahnt man die Schizophrenie des Jungen zwischen dem schrankenlos wissbegierigen Renaissance-Forscher nach Art eines Leonardo da Vinci und dem abartigen Norman Bates aus Alfred Hitchcocks „Psycho“.
Schon als Junge sezierte Luke nicht nur tote Tiere und erlebte bei der Suche nach dem dahinhuschenden Moment des Todes Hochgefühle: „Beim Arbeiten fühlte ich mich wie im Zustand höherer Gnade.“ Die Ziele als junger Mann arten jedoch noch viel weiter aus, denn ihn beseelt der brennende Wunsch, den Sitz der Seele zu finden. Dazu hatte ihm die Mutter das berühmte Beispiel des indischen Großmoguls Akbar erzählt, der Neugeborene in einem feudalen Kinderhaus von jedem Kontakt mit sprechenden Menschen isolierte. Damit wollte er herausfinden, ob die Sprache als Ausdruck der Seele angeboren oder nur erlernt ist.
Als Luke die Obdachlose Lillian ins Haus holt, tobt er sich erst nur sexuell an der stummen jungen Frau aus, begrüßt dann aber umso mehr, dass sie schwanger wird. Alles gedeiht zu einer optimalen Versuchsanordnung: Lillian überlebt die von ihm assistierte Geburt nicht, dafür gebiert sie jedoch sogar Zwillinge. Mit denen er ähnlich verfährt wie der Großmogul, indem er sie in einem Kellerverschlag ohne jede stimmliche Äußerung aufpäppelt und beobachtet.
Mit klinischer Kälte und völliger emotionaler Teilnahmslosigkeit gegenüber seiner eigenen Leibesfrucht - „sie waren nie mehr als Labortiere“ - verfolgt er zielstrebig und wohlgeordnet sein monströses Experiment. Als Ich-Erzähler zieht er den Leser dabei in den aberwitzigen logischen und folgerichtigen Bann der Gedankenwelt eines KZ-Arztes Mengele, nur hier mit dem beschränkten Geist eines sich selbst völlig überschätzenden Amateurs.
In seiner durchkalkulierten Grausamkeit abartiger Wissenschaftlichkeit empfindet Luke es schließlich geradezu als Verhöhnung, als die beiden Kleinkinder sich trotz ihrer Abgeschiedenheit körperlich und geistig offenbar ziemlich normal entwickeln und sogar beginnen, nonverbal mit einer Art Singsang miteinander zu kommunizieren. Schlimmer noch als die eingangs geschilderte Einschläferung der nicht mehr benötigten Versuchstiere erweist sich sein mit kalter Wut vollzogener Strafakt, als er den Kindern operativ die Stimmbänder durchtrennt. Und der Amateurforscher sinnt auf eine Wiederholung des gescheiterten Experiment.
Fazit: ein wahrhaft virtuoser Horror-Roman als schwer erträgliches Monstrum, das jedoch auf hohem literarischen Niveau.

# John Burnside: Haus der Stummen (aus dem Englischen von Bernhard Robben); 251 Seiten; Knaus Verlag,. München; € 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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