EDWAR RUTHERFURD: „PARIS. ROMAN EINER STADT“


Edward Rutherfurd ist der Meister des Monumental-Epos, dessen Werke wie zuletzt das über die Stadt New York begeistern und stark an den unvergessenen James A. Michener erinnern. Nun nimmt sich der Brite einer weiteren herausragenden Stadt an, diesmal der bereits von den Röpmern gegründeten Hauptstadt Frankreichs.
„Paris. Roman einer Stadt“ lautet denn auch der Titel dieses Epos, mit dem er deren Geschichte und Geschichten er hier von 1261 bis 1944 verfolgt. Auch diesmal baut er den ebenso komplexen wie dramaturgisch anspruchsvollen Reigen um mehrere Familien herum auf, die immer wieder auch miteinander in Berührung kommen. Da ist zunächst Roland de Cygne, ein Adelsvertreter mit langer Ahnenlinie sowie Ehefrau, Mätressen und gesellschaftlich hochstehenden Nachkommen.
Die Le Sourds kommen vom anderen Ende der Gesellschaft und spielen besonders in der Revolution und zur Zeit der Pariser Kommune wichtige Rollen, während die Adelsfamilie gerade hier eher auf die „falsche“ Seite gerät. Als Handwerker sind die aus der Gascogne stammenden Gebrüder Luc eingebunden, wobei auch der Bau des Eiffel-Turms zum spannenden Thema wird – wie der Bau so vieler prächtiger Bauten durch all die Jahrhunderte.
Der Handel und die Kunst finden ebenfalls ihre Protagonisten und bei den Kaufleuten sind vor allem auch große Frauengestalten von Bedeutung wie die Kaufhausgründerin Blanchard oder deren Nicht Louise, die aus der Illegalität einer unehelichen Geburt ihren Weg zur berühmten „Madame“ in der Vergnügungswelt macht – die in Paris ohnehin immer wieder glanzvoille Zeiten erlebte. Bleibt Jacob, der jüdische Kunsthändler zu nennen, wie ohnehin der Judenbann wie auch die blutige Verfolgung der protestantischen Hugenotten bis hin zur berüchtigten Bartholomäusnacht gewichtige Themen sind.
Der Reigen der 26 Kapitel setzt im Jahr 1875 ein, geht jedoch zurück bis in die Zeit des Templer-Ordens und seiner schmählichen Auflösung und in der anderen Richtung bis hin zum Kampf der Résistance gegen die Nazi-Besatzer. Stets sind die historisch verbürgten Ereignisse exzellent recherchiert und bieten neben manchen durchaus überraschenden Zusammenhängen ein faszinierendes Zeit- und Lokalkolorit. Da fehlen auch nicht der authentisch dargestellte Sturm auf die Bastille, die Dreyfuss-Affäre und die Sternstunden und Katastrophen der Napoleon-Ära.
Die Zeit- und Perspektivwechsel zwischen den Kapiteln stellen bei dem breiten Erzählfluss eine gewisse Herausforderung dar. Andererseits übt gerade die gelungene Verknüpfung der vielen Handlungsstränge und Familien einen großen Reiz aus. Das besondere Flair der Seine-Metropole, ihre Historie voller Höhen und Tiefen, die gesellschaftlichen Umbrüche bis hin zum Wandel der Stellung der Frau, Architektur und Künste bis zum Epilog aus dem wild bewegten Jahr 1968 bieten eine schier unerschöpfliche Quelle von Szenerien für eine einzigartige Zeitreise. Fazit: ein großes, anspruchsvolles Lesevergnügen nicht nur für geschichtlich Interessierte.

# Edward Rutherfurd: Paris. Roman einer Stadt (aus dem Englischen von Dietlind Falk und Lisa Kögeböhn); 927 Seiten; Karl Blessing Verlag, München; € 29,99

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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