CLAIRE DYER: „ALS GESTERN NOCH MORGEN WAR“


Man kennt diese Frage des „Was wäre wenn“ aus vielen Büchern und Filmen, der britischen Autorin Claire Dyer ist gleichwohl ein Roman zu eben diesem Thema gelungen, der berührt und nachdenklich macht. „Als Gestern noch Morgen war“ lautet der Titel und genau dieser Gedanke zieht sich durch diese sehr lebensnahe Geschichte.
Paddington Station, 9 Uhr morgens, für Fern und Elliott steht plötzlich die Zeit für einen Moment still. Vor 25 Jahren endete ihre große Liebe ziemlich plötzlich und sehr schmerzlich. Nun erblicken sie einander per Zufall und nach einem unmerklichen Zögern kommt es zur Begrüßung und zur Verabredung eines Wiedersehens am Abend.
Was nun einsetzt, beschreibt die Stunden bis dahin, die für jeden von ihnen voller immer intensiver werdender Erinnerungen sind. Im Wechsel offenbaren sich die alten Zeiten, die innigen Gefühle wie auch die ebenso leidenschaftlichen wie harmonischen Intimitäten. Zugleich eröffnet sich auch ihr Leben danach und gegenwärtig, wo Fern mit ihren jetzt Anfang 50 auf ein recht zufriedenes Leben mit ihrem zuverlässigen und liebevollen Ehemann und den beiden Söhnen zurückschaut.
Weit mehr als Fern hat Elliott all die Jahre tief drinnen gehofft, sie einmal wiederzusehen. Was verständlich wird, wenn man von seiner nicht sehr glücklichen und inzwischen gescheiterten Ehe erfährt, der Entfremdung von der Tochter. Außerdem ist er in diesen Tagen gerade dabei, das Elternhaus und damit einen Rest an Kindheitserinnerungen zu verkaufen, nachdem der Vater demt ins Heim musste. Doch nach und nach – und das macht diesen ruhig und langsam erzählten Roman so fesselnd – kommt auch heraus, woran die große, unvergessene Liebe zwischen Fern und Elliott damals zerbrach.
Aus einer Verstimmung der Liebenden heraus hatte er einen ohnehin nur schwer verzeihlichen Fehltritt begangen und, was noch viel schlimmer war, dann versagt, als er vielleicht mit Worten aufrichtiger Reue noch alles hätte retten können. Mehr und mehr erkennt auch der Leser, dass diese Beiden ein beinahe ideales Paar waren, und man versteht, warum das Bedauern über das Zerbrechen bei Elliott noch um einiges tiefer sitzt als bei Fern. Zumal er sich damals ausgerechnet vom Grund für das Zerwürfnis, die selbstsüchtige Meryl, in die Muss-Ehe einfangen ließ.
Nach all diesen Jahren, wenn sie sich nun zu einem Rendezvous treffen – gibt es eine zweite Chance für ihre große Liebe? Claire Dyer rollt diese spannende Frage gekonnt gewissermaßen von hinten auf und sie tut dies mit viel Sensibilität, viel Liebe zum Detail und vor allem so realistisch, dass das Alles sehr glaubhaft
wirkt. Wenn sie außerdem bei den intimen Passagen recht explizit wird, so gibt gerade der weibliche Blick diesen Szenen das nötige authentische Gefühl.
Fazit: ein rundum gelungener Beziehungsroman, mitten aus dem realen Leben und zugleich ein anspruchsvolles Lesevergnügen.

# Claire Dyer: Als Gestern noch Morgen war (aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller); 331 Seiten; Droemer Verlag, München; € 19,99


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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