VOLKER KUTSCHER: „MÄRZGEFALLENE“


Am Berliner Nollendorfplatz wird ein ermordeter Penner gefunden. Eigentlich ein Fall für Kriminalkommissar Gereon Rath, doch der weilt auf Urlaub im heimischen Köln, um Karneval zu feiern. Dabei hat er durch seinen hochgestellten Vater eine Begegnung mit Oberbürgermeister Konrad Adenauer, der sich an diesem Rosenmontag 1933 resigniert zur politischen Lage äußert: „Hitler hätte man mit Jewalt entjejentreten müssen, schon vor einem Jahr. Nu isset zu spät.“
Damit setzt Volker Kutschers fünfter Fall um den knorrigen Rath ein. Der Titel lautete „Märzgefallene“, noch aber schreibt man den 27. Februar, der Kriminalist versackt bei Wein, Weib und Gesang. Und dann das Erwachen mit einem bösen Kater: in dieser Nacht brannte in Berlin der Reichstag, die Kommunisten wurden sofort als die Schuldigen gebrandmarkt und es sollte das Fanal zur Machtergreifung der Nazis werden. Nur wenige Tage vor den Wahlen, auf die so viele demokratisch Gesinnte scheinbar berechtigte Hoffnungen gesetzt hatten.
Natürlich muss Rath sofort zurück nach Berlin, wo sein bisheriger Chef als politisch missliebig abgesetzt und abgeführt wird. Gereons Verlobte Charly Ritter, fähige Kommissars-Anwärterin, ermittelt derweil zwar wegen des toten Penners, eines Weltkriegsveteranen, doch derartige Untersuchungen sind jetzt nebensächlich. Das Augenmerk gilt der Hatz auf all die linken Staatsfeinde und auch Rath findet sich umgehend bei der Politischen Polizei wieder. Dabei ist er politisch eher naiv bis uninteressiert, ganz im Gegensatz zur besorgten Charly, was zu manchen heftigen Reibereien führt.
Als Rath merkt, dass die Kripo jedoch vor allem bei der Manipulation der bevorstehenden Wahl mithelfen soll und zugleich ein weiterer „normaler“ Mord an einem Weltkriegsveteranen geschieht, gelingt ihm die Rückkehr zur Mordkommission. Längst haben auch hier die Umwälzungen durch die Nazis durchgeschlagen, doch er und Charly machen dennoch Fortschritte in ihren Mordfällen, aus denen eine ganze Serie wird.
Sie stoßen auf den Roman „Märzgefallene“, Weltkriegserinnerungen des obskuren Leutnants von Roddeck, die jetzt in den Vorabdruck bei einer Zeitung gehen. Geschildert werden darin Ereignisse im Rahmen der (historisch echten) „Operation Alberich“, als deutsche Armeen im Februar und März 1917 heimlich ein großes Areal an der Somme räumten und nur verbrannte Erde hinterließen, um die Alliierten zu täuschen und zu düpieren. Dabei hatte es offenbar einen Vorfall gegeben, der nun nach 16 Jahren Anlass dafür wurde, einen Veteranen nach dem anderen umzubringen.
Mag die komplizierte Aufklärung dieses Falles auch spannend sein, so ist sie jedoch nur einer von mehreren Handlungsebenen, bei denen das Geschehen insgesamt bei diesem krassen Umschwung von der zerbrechenden Weimarer Republik in die sich rasant und geradezu krakenhaft in alle Gesellschaftsbereiche ausbreitende Nazi-Herrschaft den gesamten komplexen und doch stets gut lesbaren Roman durchzieht. Exzellent recherchiert, gelingt es Volker Kutscher souverän, Fiktion und historische Realität so miteinandner zu verknüpfen, dass die bedrohliche Stimmung wie auch die teils fanatische Bejahung der neuen Machthaber unmittelbar spürbar werden.
Nachdem Kutscher seinen Serienweg von 1929 bis jetzt zur Machtergreifung fortgeschrieben hat, zeigt sich sich noch einmal seine ganze Meisterschaft, Situation und Atmosphäre aus der Sicht der miterlebenden Zeitgenossen authentisch werden zu lassen. Auch Rath, Charly und die vielen anderen Charaktere sind ebenso interessant wie glaubhaft gezeichnet. Und nach dem Ende der Republik, das nun traurige Wahrheit geworden ist, geht die hochklassige Serie weiter, denn der Autor hat weitere Folgen bis hin zum Jahr der Olympiade in Berlin 1936 angekündigt.
Mit weiteren ebenso hochgradig fesselnden wie informativen Historienkrimis darf also gerechnet werden. Zudem gibt es auch bereits vielversprechende Pläne, die Romane um Kommissar Gereon Rath von Tom Tykwer unter dem Serientitel „Babylon Berlin“ fürs Fernsehen (ARD) verfilmen zu lassen.

# Volker Kutscher: Märzgefallene; 603 Seiten; Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln;

€ 19,99

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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