HAPE KERKELING: DER JUNGE MUSS
AN DIE FRISCHE LUFT
Seit seinem ersten Fernsehauftritt im Jahr 1977 hat sich Hape Kerkeling zum beliebtesten
Komiker Deutschland gemausert, der auf vielen Ebenen erfolgreich und mit zahlreichen
Ehrungen bedacht worden ist. 2006 landete er mit seinem Buch Ich bin dann mal
weg über seine Pilgerreise auf dem Jakobsweg seinen kommerziell größten Erfolg
ausgerechnet mit einem Werk, das nicht zur Bespaßung des Publikums gedacht war,
erzielte er einen Millionseller.
Doch es gab ein Geheimnis hinter der Ulknudel Kerkeling und wie bei manchen anderen
Großen der Clownerie erwuchs auch bei dem Jungen aus dem Ruhrgebiet der Wille, ein
breites Publikum zum Lachen zu bringen, einem Trauma in der Kindheit. Und davon erzählt
der am 9. Dezember 1964 in Recklinghausen geborene Entertainer in seiner Autobiographie
Der Junge muss an die frische Luft. Meine Kindheit und ich.
Es sei vorweg gesagt: Kerkeling erzählt gänzlich unverstellt, ohne Eitelkeiten und
schnörkellos bodenständig von dem Jungen, der einst zum Spaßmacher wurde, um seine
depressiv gewordene Mutter zu erheitern. Der Grundton seiner Geschichte aber ist trotz
manch heiterer Passagen und deftiger Personen tief traurig, denn was Kerkeling durchlitten
hat, hätte wohl jeden Menschen fürs Leben im Kern getroffen.
Wie ihn dieses Trauma als Erwachsener schließlich trotz aller Erfolge erneut
niederzuwerfen imstande war, zeigte eine Begegnung mit dem Dalai Lama. Der sprach auf
einer Veranstaltung 2007 in Leipzig über den Tod und dass es für ein Kind kein
schlimmeres Ereignis gebe, als die Liebe der Mutter zu verlieren.
Genau das hatte Kerkeling mit gerade acht Jahren erleben müssen, als sich seine Mutter
eines Abends ohne Kuss und Umarmung von ihm verabschiedete, um Selbstmord zu begehen. Als
der Junge sich später ins Schlafzimmer traute, ahnte er zwar Schlimmes, verfiel jedoch in
das, was Psychiater eine katatonische Starre nennen, und er legte sich betend neben sie,
statt die Polizei anzurufen. Dieses Fehlverhalten konnte er sich nie verzeihen und erst
heute kann er es wenigstens verstehen.
Diese Passagen des Buches gehen tief unter die Haut, zumal Kerkeling sie in schlichten
Worten hält, die die Verzweiflung und Hilflosigkeit der kindlichen Seele um so spürbarer
machen. Wenn er diesem Buch den Satz Dieses Buch widme ich meiner Mutter
Margret voranstellt, wird dies verständlich, wenn man die ganze Geschichte liest.
Zunächst prägt die heiß geliebte Oma Änne nicht nur sein Leben mit ihrer zupackenden
Lebenslust, um dann jedoch in einem erschreckend kurzen Zeitraum zu erkranken und
dahinzusiechen.
Das und die weiteren Wandlungen im gesamten Familienumfeld sowie massive
Gesundheitsbeeinträchtigungen treiben dann die in Hapes ersten Kinderjahren noch so
ausgeglichene und fröhliche Mutter rapide in immer schlimmere Depressionen bis zu jener
Verzweiflungstat im Sommer 1973. Die Wirkung dieser Katastrophe wird um so deutlicher,
weil Kerkeling anfangs die teils sehr schönen Zeiten seiner frühen Kindertage schildert,
in denen er bereits Weihnachten 1970 verkündet: Wenn ich groß bin, will ich ins
Fernsehen!
Und Kerkeling geht hier kurz aber prägnant auf seine erst viel später bekannt gewordene
Homosexualität ein: er habe schon als Kind homosexuell gedacht. Da fand er in den
Versandhauskatalogen die knackigen Unterhosen-Modelle am interessantesten und mit fünf
Jahren sorgte er für kontroverse Reaktionen in der Familie, weil er zum Karneval als
Prinzessin gehen wollte.
Mit viel Herzenswärme erzählt Kerkeling aber auch, wie ihn die Familie und hier wie
ohnehin in seinem Leben ganz vorneweg Frauen von den geliebten Omas bis zur Tante Lisbeth,
einer Klosternonne, aufgefangen hat. Diese liebevoll beschriebenen Menschen mit ihren
Macken und Schrullen aber auch der innig empfundene Glaube trugen ebenso wie das dunkle
Geheimnis wesentlich dazu bei, dass aus dem Hans-Peter der Hape und die Hannilein, die
verballhornte Königin Beatrix und der hinreißend furchtbare Horst Schlämmer werden
konnte.
Fazit: diese ehrliche Autobiographie eines Künstlers, der längst bewiesen hat, dass er
mehr ist als nur komisch, beeindruckt mit ihrer Geschichte, ihrer warmherzigen Intelligenz
und ihren liebenswerten Charakteren.
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