ANDREJ KURKOW: „JIMI HENDRIX LIVE IN LEMBERG“


Gitarristenlegende Jimi Hendrix starb am 18. September 1970 und alle Jahre wieder exakt in dieser Nacht wallfahrten Alt-Hippies zu einem Friedhof im westukrainischen Lemberg. Sie waren Fans zu seinen Lebzeiten, so schwierig das zu Sowjetzeiten auch noch war, und natürlich halten ihm die wackeren Übriggebliebenen auch weiterhin die Treue.
Und dass sie dafür an seinem Todestag zu diesem Grab pilgern, hat einen sehr triftigen Grund: als Reliquie liegt dort die rechte Hand des Gitarren-Gurus bestattet, einst auf geheimnisumwitterte Weise aus den USA beschafft. In der Nacht des 18. September 2011 aber gesellt sich eine seltsame Erscheinung zu dem Grüppchen, die sich als ehemaliger KGB-Hauptmann Rjabzew outet. Und als der Geheimdienstoffizier, der die hiesige Hippie-Szene erst für die sowjetische und später für die ukrainische Regierung observiert hat.
Damit beginnt Andrej Kurkows jüngster Roman „Jimi Hendrix live in Lemberg“, der einmal mehr die skurrilen und schrägen Einfälle birgt, die man einfach von dem Ukrainer erwartet. Hier nun sind es zwei miteinander verknüpfte Handlungsstränge, wobei der alte Hauptmann sich bei seinem Ausspähopfern entschuldigen will, aber auch gesteht, dass er über all die Observierungen selbst zum Fan geworden ist.
Wenn er sich dabei insbesondere an den Beleuchter Alik wendet, hat das einen besonderen Nebenaspekt: diesen Alik Olisewitsch gibt es wie zwei weitere der Protagonisten wirklich und er war einst Begründer der Hippie-Bewegung in Lemberg, wie Autor Kurkow im Interview erklärte. Rjabzew aber behauptet schließlich sogar, zu den Drahtziehern jener obskuren Einschmuggelung der Hendrix-Hand zu gehören.
Allerdings überrascht so viel Verrücktheit kaum, wie auch der wundersame Heiler ins Raster passt. Dieser Taras brach einst sein Medizinstudium ab und spezialisierte sich stattdessen auf eine ebenso aberwitzige Methode, Menschen von Nierensteinen zu befreien. Was er aus naheliegenden Gründen nur nachts praktiziert, denn dazu brettern er und seine Gehilfen mitsamt den Patienten in einem uralten Opel über die holprigsten Straßen der Großstadt. Die Geldgaben für seine meist erfolgreichen Rüttelfahrten brachten ihm vor allem auch das Kennenlernen seiner großen Liebe Darja ein.
Diese übt den ehrbaren Beruf einer Angestellten in einer Geldwechselstube aus, wo Taras all die Fremdwährungen in ukrainische Hrywni eintauscht. Allerdings trägt sie dabei stets Handschuhe und das nicht etwa als Spleen – sie ist hochgradig allergisch gegen die Berührung mit Geld. Taras hat im Übrigen noch eine Verehrerin in der Schauspielerin Oxana, einer ausgemachten Menschenfreundin, die ihm zum Geburtstag ein Aquarium mit Fischen schenkt. Womit schließlich das einsetzt, was all die vorgenannten Absurditäten lässig in den Schatten stellt: die Möwen-Invasion.
Lemberg/Lwiw/Lwow liegt weit entfernt von jeder Küste, nun aber riecht die Luft salzig und erschreckend große Möwen kommen in Scharen und in einigen Stadtteilen benehmen sie sich sogar, als hätten sie es von Hitchcocks legendären „Vögeln“ abgeguckt. Was die verschiedenen Freunde dagegen unternehmen, welche verblüffenden Überraschungen Rjabzew für seine nichtsahnenden Hippie-Freunde zu bieten hat und ganz viel mehr – dieser Roman ganz im Stile des von Kurkow so brillant beherrschten magischen Realismus ist eine Achterbahn an Witz, Ironie und verdrehtem schwarzem Humor.
Ganz gegenwärtig lässt er die Verrücktheiten der post-sowjetischen Ukraine erahnen, ist dabei vordergründig aber gänzlich unpolitisch. Kurios und voller funkelnder Dialoge kommt diese wirre Geschichte geradezu leichtfüßig tänzelnd daher und wer sich darauf einlässt, erlebt ein Lesevergnügen der besonderen Art.

# Andrej Kurkow: Jimi Hendrix live in Lemberg (aus dem Russischen von Johanna Marx und Sabine Grebing); 405 Seiten; Diogenes Verlag, Zürich; € 22,90


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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