CATHERINE MERRIDALE: DER
KREML
Der Moskauer Kreml zählt zu den berühmtesten Gebäuden der Welt. Wozu zwei Dinge
klarzustellen sind: erstens gibt es nicht nur diesen einen Kreml, denn an sich versteht
man darunter die im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit entstandenen Zitadellen
russischer Fürstensitze, zweitens besteht gerade der besonders mächtige Kreml in
Russlands Hauptstadt aus einem ganzen Ensemble von Gebäuden.
Dieses birgt neben einer langen wechselvollen Geschichte seit den Anfängen etwa im 12.
Jahrhundert auch eine Fülle von Rätseln und Geheimnissen. Entsprechend gestaltet sich
die umfassende Gebäudebiographie Der Kreml. Eine neue Geschichte Russlands,
für die die renommierte britische Historikerin Catherine Merridale in jahrelanger
Recherchearbeit auch in sonst nicht zugängliche Archive des Kreml Einblicke nehmen
durfte. Vorwegzunehmen ist, dass die Russland-Expertin nicht wirklich die Historie des
Riesenreichs neu geschrieben hat. Der Orginaltitel Die rote Festung. Das heimliche
Herz der Geschichte Russland trifft es um einiges besser.
Höchst lebendig schildert Merridale den wendungsreichen Weg des Kreml von dem noch eher
primitiven Sitz von Großfürst Iwan I., der erst im 14. Jahrhundert auch Zentrum
religiöser Macht wurde, bis zur Machtzentrale von Sowjetunion und jetzigem Russland. Bis
heute erhalten ist aus der Frühzeit lediglich die rote Befestigungsmauer, während der
gesamte Komplex mit Kathedralen, Klöstern, Palästen und anderen Bauten viele Wandel
durchlief. Da beschreibt die Autorin u.a. die großen Bauschübe wie zum Ende des 15.
Jahrundert, als prägende Elemente durch italienische Architekten entstanden bis hin zu
den vielen augenfälligen Türmen.
Zugleich zeigt sich die enge Anknüpfung von Zarentum und russisch-orthodoxer Kirche und
die Historie dieses von manchen kriegerischen und umstürzlerischen Ereignissen geprägten
Machtzentrums erstreckt sich stets auch auf diese politischen Aspekte. Herausragende
Gestalter wie Iwan der Schreckliche, Boris Godunow, Peter der Große und Stalin werden in
ihrem oft gewaltsamen Wirken in diesen Mauern beschrieben. Zugleich wird deutlich, in
welchem Maße der Kreml seit Jahrhunderten zum Mythos wie auch zum Sinnbild der russischen
Volksseele geworden ist.
Vieles ist bis heute geheimnisumwittert und Merridale entdeckte bei ihren Recherchzen
immer wieder Umdeutungen bis hin zu klarer Geschichtsklitterung, je nachdem wer das Sagen
hatte und die jeweiligen Chronisten befehligte. Ob religiöses und/oder weltliches
Machtzentrum, ob Bibliotheken, Museen, Archive oder politische Bühne die
Forschungen zu diesem profunden Rückblick und Einblick beruhen auf vielfältigem Fakten-
und Quellenmaterial und reichen bis in die aktuelle Rolle des Kreml unter seinem
mächtigen und machtbewussten Inhaber Wladimir Putin samt dessen neuzeitlicher
Prachtentfaltung hinein.
Fazit: ein großartiges Werk an Geschichtsschreibung, das mit seiner spannenden
Erzählweise für hervorragende Einblicke in das Wesen russischer Machtpolitik sorgt und
ein besseres Verstehen zumindest erleichtert.
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