ISABEL ALLENDE: „AMANDAS SUCHE“


Isabel Allende, die große Autorin des magischen Realismus, hat wie ihre Harry-Potter-Kollegin Joanne K. Rowling einen Ausflug ins Krimi-Genre gemacht. Und es sei vorweg gesagt: „Amandas Suche“ ist ein fulminanter Thriller geworden, dessen Schreiben der mittlerweile 72-Jährigen spürbar Spaß gemacht hat.
Es beginnt mit dem unappetitlichen Fund eines toten Schulhausmeisters, der schwer erklärlich scheint. Dem folgen weitere Morde mit seltsamen Merkmalen, die aber scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Und es setzt nicht nur das Erscheinen einer Flut von Akteuren ein, die chilenische Meisterin der Charakterzeichnung haucht ihnen auf glänzende Weise Leben ein. Allen voran der 16-jährigen Amanda und ihrer erst 33-jährigen Mutter Indiana Jackson, einer Art üppiger Spät-Hippie, die sich als Physiotherapeutin mit Reiki- und anderen esoterischen Methoden eine echte Fangemeinde erobert hat.
Da sie in ihrer Lebensführung etwas unstet und von Bob Martin, Amandas Vater, geschieden ist, lebt die ebenso eigenwillige wie intelligente Schülerin in einem liberalen Internat und genießt als innigste Gefühlsbindung die Liebe ihres Großvaters Blake, eines betagten Apothekers. Vater Bob ist im Übrigen Chef der Mordkommission in San Francisco, wo der Krimi auch spielt. Amanda betreibt in ihrer Freizeit das globale Internet-Rollenspiel „Ripper“, bei dem sich einige wahrhaft skurrile Jugendliche wie Abatha mit der Magersucht und den übernatürlichen Ahnungen oder der extrem schüchterne pubertierende Sir Edmond Paddington, der seit Jahren die Wohnung nicht mehr verlassen hat.
Unter Amandas Spielleitung wollen sie das Geheimnis um Jack the Ripper von 1888 lüften. Als es in San Francisco zu weiteren merkwürdigen Mordtaten kommt und die Fernseh-Astrologin Celeste Roko ein baldiges „Blutbad“ prophezeit, schwenken die Ripper-Spieler auf die Gegenwart um und bald fließen auch Informationen zwischen Amanda und ihrem Vater hin und her. Immer mehr wird aus dem Internetspiel eine reale Ermittlungsmethode, was die Polizei angesichts des offensichtlichen Wirkens eines Serienkillers zu schätzen beginnt.
Um so mehr, als schließlich auch Indiana Jackson zu einem mutmaßlichen Opfer werden könnte. Zumal als ihr Liebhaber Alan Keller, ein vermögender und auch extrem eifersüchtiger Kunstfreund, ermordet aufgefunden wird. Er aber könnte auch ein Opfer von Ryan Miller sein, einem ehemaligen Elitekämpfer der Navy Seals. Er und sein Kriegshund Attila sind zwar inzwischen invalide aber immer noch veritable Kampfmaschinen mit einer heftigen Vergangenheit in Afghanistan, die auch weiterhin strenger Geheimhaltung unterliegt. Dieser harte Kerl wird zu einem Verdächtigen, zugleich aber hat er sich unsterblich in Indiana verliebt und das nicht nur wegen ihrer heilenden Hände.
Die Vielzahl von Handlungssträngen entwickelt sich ausführlich, detailliert und durchaus nicht schnell, dennoch fesselt das Geschehen samt seinem hinreißenden Lokalkolorit und dem grandiosen Personaltableau voller interessanter und voll ausgestalteter Charaktere im Nu. Zugleich wandelt der schwer gestörte Serienkiller wie ein Chamäleon mitten in der Menge der Akteure, ohne dass der Leser ihn erkennen könnte. Bis das absolut filmreife Geschehen schließlich auf ein knallhartes Finale hinausläuft.
Isabel Allende hat mit „Amandas Suche“ einen brillanten Krimi geschaffen, der eben dank ihrer virtuosen Gestaltungskraft weit mehr ist als das. Wenn es in ihrer Wahlheimat gleichwohl kritische Stimmen gibt, stören sich diese vor allem daran, dass sie offene Wunden berührt wie den „Besatzungskrieg“ in Afghanistan oder den allgegenwärtigen Überwachungswahn. Doch gerade auch diese teils geschickt eingewobenen Schieflagen in den USA machen den Roman zu einem außergewöhnlich gelungenen Stück Spannungsliteratur.

# Isabel Allende: Amandas Suche (aus dem Spanischen von Svenja Becker); 479 Seiten; Suhrkamp Verlag, Berlin; € 24,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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