DIMITRI
VERHULST: DER BIBLIOTHEKAR, DER LIEBER DEMENT WAR ALS...
Was für eine Alternative Desiré Cordier, ein Berufsleben lang akribischer
Bibliothekar und jetzt mit Anfang 70 frustrierter Rentner, tauscht willentlich die
Ehehölle mit den alltäglichen Unsegnungen eines geriartrischen Pflegeheims!
Warum er das tut und warum man es sogar zumindest ansatzweise verstehen
kann, davon erzählt der flämische Autor Dimitri Verhulst in dem kleinen aber ziemlich
gemeinen Roman Der Bibliothekar, der lieber dement war als zu Hause bei seiner
Frau. Den geruhsamen Herbst des Lebens vergällt dem braven Cordier seit langem
schon die herrische Ehefrau Monique: Ich reagiere schon lange nicht mehr auf die
endlosen Tiraden meiner Frau, einer von vielen, möglicherweise Millionen schweigender
Männer, die sich gegen die Launen ihrer Gattin mit einem Panzer aus Gleichgültigkeit
wappnen.
Nun aber droht noch größeres Ungemach, denn der bevorstehende Umzug in einen kleinere
Wohnung bedeutet eine drastische Verschlimmerung der Misere, weil damit jegliche
Rückzugsmöglichkeiten entfallen. Was Cordier in seiner Verzweiflung auf eine aberwitzige
Idee bringt, um sich Monique entziehen zu können und vielleicht ein Stückchen Freiheit
zurückzugewinnen: die eigene Altersdemenz vortäuschen.
Der Weg bis zur Einweisung ins Heim ist gepflastert mit gut geschauspielerten
Winkelzügen, die immer wieder auch Gelegenheiten ergeben, Monique zu beschämen oder zur
Weißglut zu bringen. Das Vorhaben gelingt zwar, allerdings gerät er im Haus
Winterlicht eigentlich nur in eine etwas anders gestaltete Altershölle mit
tristem Pflegealltag und sedierender Betreuung. Einen kleinen Lichtblick bringt das
vorübergehende Wiedersehen mit der längst abgedrifteten Jugendliebe Rosa, ansonsten aber
begnügt sich Cordier mit dem Beobachten seiner wirklich dementen Mitbewohner und so
mancher Eigenarten im Heim.
Und er behält die Maskerade mangels ernsthafter Alternative fast konsequent bei, wobei
die Begegnung mit der uneingeweihten Tochter eine besonders herbe Passage bietet. Nur
einmal noch läuft der Fatalist zur Hochform auf, als er in einem Zimmernachbarn einen
ehemaligen KZ-Kommandanten zu erkennen glaubt. Spielt der etwa das gleiche Spiel wie er,
um jedweder Verfolgung zu entgehen? Mag es auch offenbleiben, für sich selbst und ein
kleines Mehr an Freiheit kämpft der sarkastische Ich-Erzähler kein bisschen mehr.
Bei so viel Realismus in all dem bitterböse satirisch Erzählten bleibt dem Leser das
Lachen oft genug im Halse stecken und es lässt ihn nachdenklich zurück.
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