JONATHAN COE: „LIEBESGRÜßE AUS BRÜSSEL“


Thomas Fowley, seit langem Beamter im Central Office of Information in London, hat eine belgische Mutter und sein Vater führte einst einen Pub. Damit ist er prädestiniert für eine höchst ehrenvolle Aufgabe bei der Weltausstellung von 1958 in Belgiens Hauptstadt Brüssel - sechs Monate soll er dorthin, sehr zum Verdruss von Ehefrau Sylvia, die mit der neugeborenen Tochter daheim bleiben muss.
Damit beginnt „Liebesgrüße aus Brüssel“, der jüngste Roman von Erfolgsautor Jonathan Coe. Wenn der Titel an den zweiten James-Bond-Film „Liebesgrüße aus Moskau“ erinnert, sei gleich vorweg gesagt, dass der eher steife und ziemlich unscheinbare 32-Jährige so ganz und gar nichts von einem weltgewandten Agenten hat. Im Übrigen soll er auch keine entsprechenden Aufgaben erfüllen, auch wenn sich in dieser frühen Hochzeit des Kalten Krieges Sowjets und Amerikaner einander nicht nur mit ihren zur Schau gestellten Errungenschaften zu überbieten versuchen.
Die Briten dagegen treten unterm Atomium, dem spektakulären Wahrzeichen dieser Expo mit etwas auf, das sie besonders gut können: sie haben einen Riesen-Pub mit dem sinnvollen Namen „Britannia“ errichtet. Genau dort soll Fowley dafür sorgen, dass der Betrieb optimal abläuft. Mag der linkische Beamte auch bald das Gefühl haben, in eine Welt mit Spionen, weltpolitischen Gegensätzen und einem verwirrend unbritischen Umfeld hineingezogen worden zu sein, die er nicht versteht, so genießt dieser Anti-007 durchaus das Herumschwirren all der attraktiven Damen, allen voran die charmanten belgischen Hostessen.
Und eine von ihnen, die schöne Anneke, ist genau von der Art, deren Reizen ein solche Bravling ohne Schrecksekunde verfällt. Was nicht ganz folgenlos bleibt und im gewissen Kontrast zu den sachlich nüchternen Briefen steht, die sich die Eheleute Fowley mit allerlei kleinen Spitzen versetzt schreiben. Ohnehin bietet der dienstliche wie der private Lebenswandel des jungen Beamten eine Fülle von Schmunzelelementen mit viel subtilem britischen Humor.
Dass um ihn herum KGB und CIA und manch andere fragwürdige Vertreter einen aus heutiger Sicht geradezu lächerlich wirkendes Katz-und-Maus-Spiel abziehen, begreift der gewissenhafte beamtete Pub-Aufseher nicht mal schemenhaft. Ebenso wenig wie die moralische (?!) Unterstützung, die die so lange allein gelassene Ehefrau durch den verklemmten Nachbarn erhält – und das Alles „very british“ ganz im Geiste der 50er Jahre im hölzern konservativen Vereinigten Königreich.
Diese Komödie hat ihre feinen Spannungsmomente, lebt aber vor allem vom teils skurrilen Humor und den Betulichkeiten jener Zeit. Da funkeln manche Dialoge und auch die Andeutungen des von Fowley nie durchschauten Agententreibens würzen diesen dezenten Roman. Fazit: gepflegte Bettlektüre, die auch intellektuellen Ansprüchen Genüge tut.

# Jonathan Coe: Liebesgrüße aus Brüssel (aus dem Englischen von Walter Ahlers), 313 Seiten; Deutsche Verlagsanstalt, München; € 19,99

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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