HEINZ HALM: „KALIFEN UND ASSASSINEN“


Nach seinen viel beachteten Sachbüchern „Das Reich des Mahdi. Der Aufstieg der Fatimiden 875-973“ und „Die Kalifen von Kairo. Die Fatimiden in Ägypten 973-1074“ widmet sich Heinz Halm mit seinem dritten Werk jener Ära der „Kalifen und Assassinen. Ägypten und der Vordere Orient zur Zeit der ersten Kreuzzüge 1074-1171“. Damit behandelt der emeritierte Professor für Islamwissenschaft der Eberhard-Karls-Universität Tübingen eine Phase des Islam, die überraschend viele Bezüge zu aktuellen Zuständen und Entwicklungen aufweist.
Viele der heutigen Konflikte innerhalb der muslimischen Welt und der Muslime mit dem freien Westen weisen Feindschaftsbilder auf, die bereits vor 1000 Jahren für unablässige Wellen von Terror und Krieg sorgten, die kaum zu befrieden waren. Die Beschreibung der vielfältigen nach Mohammeds Tod im Jahre 632 entstandenen Glaubensströmungen zeigt in der wissenschaftlichen Untersuchung Grundlagen für unversöhnliche Gegensätze. Sie entstanden bei der Erbfolgeregelung, als die Gefolgsleute den Nachfolger durch Wahl festlegen wollten.
Eine Minderheit jedoch erkannte nur Ali, Vetter und Schwiegersohn Mohammeds, als legitimen Erben an. Dies war die Gruppierung der Schia – deren Anhänger heute als Schiiten vor allem im Iran und im Irak vertreten sind – wogegen die Sunna dauerhaft zur Mehrheitskonfession aufstieg. Wo es heute noch weitgehend eine scharfe Abgrenzung zwischen Sunniten und den dogmatischen Schgiiten gibt, wurden letztere im Mittelalter sogar als Ketzer verfolgt. Doch selbst diese auf Märtyrertum und Jenseitsausrichtung verkeilte Minderheit war in verschiedene Zweige gespalten und der Islam-Experte versteht es, die Unterschiede zwischen Zwölfer-Schia, Siebener-Schia und weiteren Sonderzweigen verständlich zu machen.
Hier nun schildert Halm den Aufstieg der ismaelitischen Dynastie in Ägypten, der in etwa einhergeht mit dem kriegerischen Einfall der christlichen Kreuzzüge. Auch diese finden breiten Raum mit teils erstaunlichen Details, bei denen der Historiker in größerem Umfang auf bisher im Westen unbekanntes Quellenmaterial zurückgreifen konnte. So war im Jahr 1099 den Rittern bei der Eroberung Jerusalems nicht bewusst, dass der Orient keine rein islamische Region war. Mit der fatalen Folge, dass auch die hier lebenden Christen und Juden in großer Zahl als Feinde hingemetzelt wurden.
Noch weniger aber – und das vielfach bis heute – wurden die gravierenden innerislamischen Gegenströmungen und massiv blutigen Konflikte erkannt. Dauerhafte religiöse und politische Auseinandersetzungen wurden immer wieder sogar zu Garanten für die anhaltende Existenz christlicher Fürstentümer im Heiligen Land. Und dann kamen aus den Reihen der Siebener-Schiiten die bald ebenso gefürchteten wie mächtigen Assassinen hinzu.
Aus einem Klima unerbittlicher kriegerisch ausgefochtener Glaubensgegensätze stieg schließlich der charismatische Hetzer Hasan-e Sabbah (1034-1124) zu einem einflussreichen Agitator auf. Es gelang ihm die Bildung eines regelrechten Fürstentums mit eigenen Festungen und legendär wurde die uneinnehmbare Burg Alamut im Norden Persiens. Dieses weitere Schisma innerhalb der Schiiten brachte die Nizariten hervor, die unter anderer Bezeichnung über Jahrzehnte für Angst und Schrecken sorgen sollten: die Assassinen, berüchtigt als ein Terrornetzwerk, das an al-Quaida und Isis erinnert.
Ihre Attentäter bevorzugten als Meuchelmörder Dolch und Gift und nahmen den eigenen Tod als Märtyrer in Kauf. Es ist spannend zu lesen und lässt zugleich frösteln, wie diese mittelalterlichen Quasi-Selbstmordattentäter ähnlich ihren heutigen Nachfahren getrimmt wurden – wobei ihr Name nach unbewiesener Deutung auf angebliche Haschisch-Exzesse zur Einstimmung zurückgeleitet wird. Ihr stets opferbereites Treiben galt immer wieder hohen Würdenträgern, war aber vielfach mehr politisch als religiös motiviert und auch dies führt von damaligen zu heutigen Verhältnissen.
Unter Hasan und seinem noch fürchterlicheren Nachfolger Sinan wurde ein weitläufiges Netz des Terrors geknüpft, dem weit überwiegend Muslime zu Opfer fielen, wogegen die Mörderbanden sogar Tribute an die Kreuzritter zahlten, um von diesen nicht behellgt zu werden. Was Heinz Halm bei all dem mit einer ungeheuren Fülle an Daten und Fakten darstellt, ergibt das komplexe Bild einer Weltmacht, die in Wahrheit aus einem fanatischen und stets auch untereinander gewaltbereiten Flickenteppich von Einzelreichen bestand.
Fazit: ein anspruchsvolles Werk zum Thema, das wie seine Vorgänger Standards setzt. Zugleich ist es überaus aufschlussreich für die Gegenwart der widerstreitenden innerislamischen Welt und schon deshalb von hohem Wert.

# Heinz Halm: Kalifen und Assassinen. Ägypten und der Vordere Orient zur Zeit der ersten Kreuzzüge – Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung; 431 Seiten, div. Abb.; C. H. Beck Verlag, München; € 34,95


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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