ARNE MOLFENTER: „GARBO, DER SPION“


Erstaunlich wenig weiß die Öffentlichkeit trotz all der Bücher und Filme zum Zweiten Weltkrieg und speziell zur Invasion der Alliierten in der Normandie über den vielleicht wichtigsten Doppelagenten des Krieges überhaupt. Ohne diesen Katalanen namens Joan Pujol Garcia (1912-1988) wäre das größte Landungsunternehmen aller Zeiten eventuell gescheitert, zumindest aber weitaus verlustreicher und langwieriger verlaufen.
Die unglaubliche und dennoch wahre Geschichte dieses Mannes hat pünktlich zum jetzigen 70. Jahrestag der Invasion vom 6. Juni 1944 der Journalist Arne Molfenter unter dem Titel „Garbo, der Spion. Das Geheimnis des D-Day“ als Buch herausgebracht. Zu Recht hatte der britische MI 5 ihm diesen Tarnnamen zugeteilt, denn Pujol sollte sich als der größte – und erfolgreichste – Schauspieler der Kriegsjahre erweisen.
Schon sein Einstieg ins Metier klingt ebenso verrückt wie filmreif, denn nach den Wirren des Spanischen Bürgerkriegs diente er sich 1941 dem deutschen Geheimdienst als Spion an, der aus England berichten wollte. Dabei lebte er zu der Zeit in Portugal, von wo aus er den Deutschen eine Menge Berichte von seinen angeblichen Agententouren durch Großbritannien sandte – buntes Zeug, das er mit Hilfe von Reiseführern und allgemein zugänglichen Publikationen erfunden hatte. Als Agent „Arabel“ schuf er sich durch eine geschickte und nie überzogene Mischung von Fakten und realitätsnah erfundenen Geheiminformationen tatsächlich bald eine weitgehende Vertrauenstellung.
In Wirklichkeit aber hatte er sich längst den Briten als Doppelagent angeboten, jedoch zunächst erfolglos. Bis der Secret Service erkannte, dass dieser Pujol bereits sein Täuschungsspiel mit den Deutschen praktizierte, und in nach England holte. In Zusammenarbeit mit der Abteilung „Double Cross“ entstand Garbo als kriegsentscheidender Märchenerzähler. Mit seinem kongenialen Führungsoffizier Tomàs Harris Rodriguez, einem Halbspanier, entwickelte er nicht nur raffiniert aufgebaute Berichte, er rekrutierte ein regelrechtes fiktives Agentennetz mit einer Vielzahl von Zuträgern im ganzen Inselreich.
Hunderte Berichte schickte er über seinen Madrider Verbindungsmann und wurde zu einer solch gewichtigen Nachrichtenquelle, dass seine Informationen zur wichtigsten Quelle deutscher Planungen und manche sogar Adolf Hitler persönlich vorgelegt wurden. Die entscheidende Phase setzte dann mit den Vorbereitungen der Invasion ein, denn für deren Gelingen war die weitestmögliche Täuschung des Gegners über das Angriffsziel von größter Bedeutung. Hier nun machte Garbo sein Meisterstück, indem er den deutschen Geheimdienst und damit die oberste Heeresleitung mit immer neuen detaillierten Informationen „anfütterte“.
Natürlich gab es auch heikle Momente, wo die Gaukelei und auch der Agent selbst aufzufliegen drohte. Aber es gelang und die penible Genauigkeit der Abteilung FHW (Fremde Heere West) verstärkte sogar noch die falschen Angaben zum Beispiel über die Zahl der Divisionen für die Invasion. Wenn die Alliierten vermeintlich 80 Divisionen bereithielten, statt der tatsächlich vorhandenen 52, und wenn da im Südosten Englands General Patton mit der FUSAG (First US Army Group) lauerte, konnte das nur eines heißen: die Invasion in der Normandie war nur ein großes Ablenkungsmanöver und entsprechend Hitlers Ankündigungen würde der Hauptschlag 150 km weiter nördlich am Pas-de-Calais erfolgen.
Die FUSAG wie auch die „Fourth British Army“ in Schottland für eine weitere Invasion in Norwegen wurden auch plastisch durch unzählige Attrappen und fiktiven Funkverkehr vorgegaukelt, aber erst Garbos detaillierte Pseudo-Informationen machten eine Gewissheit aus diesen vermeintlichen Bedrohungen. Die kriegsentscheidende Folge war, dass bis in den August hinein 22 deutsche Divisionen im Raum Calais zurückgehalten wurden. Allein die beiden kampferprobten SS-Panzerdivisionen, die sofort eingreifen sollten, aber auf Hitlers persönlichen Befehl zurückbeordert wurden, hätten den ersten noch fragilen Brückenkopf zumindest in schwerste Bedrängnis bringen können.
So aber setzte Garbo drei Tage nach Invasionsbeginn die wichtigste Meldung überhaupt ab, als er vor dem unmittelbar bevorstehenden Angriff von Pattons FUSAG warnte. Und diese Meldung vom 9. Juni 1944 wurde Hitler persönlich vorgelegt, der seine Divisonen zum Nichtstun verdammte. Garbo/Arabel aber erhielt für seine hervorragende Arbeit erst das Eiseren Kreuz 2. Klasse und wurde später auch noch als MBE (Member of the British Empire) ausgezeichnet.
Selbst sein Abgang war von dieser Mischung aus Fiktion und Wahrheit bestimmt und sogar an seinem Ableben 1988 in Lateinamerika gibt es Zweifel. Fazit: ein spannender Spionagethriller, bei dem das Spannendste jedoch die Tatsache ist, dass bis in die Dialoge hinein fast alles auf Tatsachen beruht.

# Arne Molfenter: Garbo, der Spion. Das Geheimnis des D-Day; 286 Seiten, div. Abb.; Piper Verlag, München; € 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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