SZCZEPAN TWARDOCH:
MORPHIN
Mit seinem geradezu berserkerhaften Roman Morphin hat Szczepan Twardoch in
seiner Heimat Polen einen Begeisterungssturm ausgelöst. Doch die Geschichte vom
verkommenen Antihelden Konstanty Willemann ist eine deftige Herausforderung für jeden
Leser, rasant, sperrig und in sich immer wieder auch voller Widersprüche.
Vor dem Krieg war Konstanty ein Lebemann und Weiberheld, der am liebsten mit seinem
nagelneuen Opel durch Warschau kutschierte und die Nächte durchmachte. Trotz Ehefrau und
Kind, dafür stets ausgehalten von seiner ebenso dominanten wie sexhungrigen Mutter,
wogegen der Vater ein traumatisierter schwerbeschädigter Kriegsveteran ist. Aber einst
entgegen des jetzigen Namens als Baldur Strachwitz von Gross-Zauche und Camminetz geboren
von deutschem Adel. Weshalb Konstanty auch Konstantin heißt, fließend Deutsch
spricht und das bei Bedarf sogar mit Wiener Akzent.
Nun aber schreibt man den Oktober 1939, die Heimatstadt des 30-Jährigen liegt halb
zerstört und gewissermaßen vergewaltigt und von den Deutschen besetzt da. Konstanty
aber, der davongekommene Reserveoffizier, stromert jetzt mit einem noch feudaleren Auto
durch die Stadt, besucht weiterhin seine üppige jüdische Prostituierte Salomé und kennt
nur einen wirklich wichtigen Zeitvertreib: die regelmäßige Beschaffung von ausreichend
Morphium, das sich der talentlose Möchtegern-Künstler vom Krankenhausarzt Jacek besorgt.
Dessen Frau hat er einst verführt, nun soll er die Verschwundene für seinen Dealer
aufspüren.
Nur widerwillig lässt er sich dann in den polnischen Widerstand hineinziehen. Dabei ist
er für den wie gemacht mit seinen Sprachkenntnissen und auch in der perfekt sitzenden
deutschen Offiziersuniform seines Vaters. Als er gleich den ersten Auftrag vermasselt,
muss er das ausbügeln, indem er den Dieb einer Aktentasche tötet. Das geschieht auf
ausgesprochen widerwärtige Weise, wie Twardoch seine Leser ohnehin weder bei
Gewaltdarstellungen noch in den Dialogen schont. Da wird es zuweilen obszön bis
gotteslästerlich, immer aber bleibt die Prosa wuchtig und sprunghaft.
Konstanty mag Autos lieber als Pferde und die wiederum mehr als Menschen, wie der
Ich-Erzähler auf der ewigen Suche nach Identität und Sinn bekennt. Rätselhaft aber
bleibt die zweite, offenbar weibliche Erzählstimme, die immer wieder im Dialog mit ihm
fortfährt, jedoch nur schwer als Moralinstanz einzuordnen ist. Patriotismus und Ideale
sind dem Nihilisten dabei ebenso gleichgültig wie der Widerstand: Ich bin Konstanty
Willemann und diene weder Polen noch den Deutschen, weder Gott noch dem Teufel.
Um so verblüffter muss er entdecken, dass seine so patriotische Mutter plötzlich den
Deutschen in wichtiger Funktion dient ausgerechnet als uniformierte Leiterin der
Germanisierungsbehörde. Und nach der sorglosen Vorkriegszeit entflieht Konstanty der
drückenden polnischen Gegenwart dank eines erneuten Auftrages des Widerstands nach
Budapest in das noch neutrale Ungarn. An seiner Seite nun die aristokratische Femme fatale
und Untergrundkämpferin Dzidza. Noch einmal Leichtigkeit und sogar aufkommende Gefühle,
doch man hat es auch durch verschiedentliche Einsprengsel längst geahnt: Happyends kann
es nicht geben, vielmehr wird das Ende ein fürchterliches.
Fazit: ein ungestümer Roman aus düsteren Zeiten mit einem Antihelden, den man nicht
mögen muss (und auch schwerlich kann), um sich von dieser explosiven Geschichte
faszinieren zu lassen.
|