BERNHARD AICHNER: „TOTENFRAU“


Für die Recherche zu seinen Max-Broll-Krimis arbeitete Bernhard Aichner ein halbes Jahr in einem Bestattungsinstitut. Damit schuf er sich zugleich beste Voraussetzungen zu seinem jüngsten Roman „Totenfrau“. Der sorgte schon vor dem Erscheinen für Furore, denn gleich mehrere Verlage kämpften um die Rechte an einem Werk, das nicht weniger als Weltklasse ist.
Schon der Prolog, acht Jahre vor dem eigentlichen Geschehen, hat es in sich. Eine junge Frau sonnt sich auf dem Deck einer Segelyacht auf der Adria. Bewusst tut sie das nackt und die Musik hat sie laut aufgedreht, damit sie die Schreie ihrer Eltern nicht hört, die in langem Kampf vergeblich versuchen, nach dem üblichen Mittagsbad wieder an Bord zu gelangen. Blum heißt die 24-Jährige, einfach nur Blum, denn den von den Eltern bei der Adoption aufgedrückten Vornamen Brünhilde hat sie immer gehasst.
Sie hat kein Problem damit, dem sympathischen Polizisten Mark vorzuspielen, welch ein entsetzliches Unglück der Tod der Eltern ist. Und sie kann problemlos mit eben diesem Mark als Ehemann sehr glücklich werden, denn die herzlosen Eltern hatten sie wie ein Haustier aufgezogen. Zu keinem anderen Zweck als den der Nachfolge für das florierende Bestattungsinstitut in Innsbruck, wozu sie schon im Kindesalter unbarmherzig unter Androhung widerwärtiger Strafen zur aktiven Mitarbeit bei der Leichenarbeit gezwungen wurde.
Acht Jahre schlummert diese dunkle Seite ihrer Seele, sie sind eine fröhliche Familie mit den beiden Töchtern und im Institut kann sich Blum auf den treuen Mitarbeiter Reza stützen. Doch während sich der Krimileser womöglich noch über so viel Idylle wundert, rührt der österreichische Erfolgsautor ein wahrhaft infernalisches Hexengebräu an, das an einem freundlichen Morgen folgenreich aufschäumt.
Mark fährt mit seinem geliebten Ducati-Motorrad aus der Hauseinfahrt, um zum Dienst zu gelangen, und schon braust eine schwarze Limousine heran und zermalmt ihn regelrecht. Und verschwindet spurlos. Wie gelähmt durchlebt Blum die nächsten Wochen, reißt sich für die Kinder und die Arbeit zusammen, versinkt nächtens jedoch in trostloser Trauer.
Bis sie sich eines Abends in Marks Arbeitszimmer traut und sein Handy abhört. Darin aber sind nicht nur liebevolle gegenseitige Botschaften gespeichert, vielmehr stößt Blum auf Gespräche mit einer jungen Frau, die Unfassbares berichtet. Blum gelingt es tatsächlich, diese Dunja zu finden. Die erzählt ihr von einem unglaublichen Alptraum, dem sie nur durch viel Glück entfliehen konnte. Dunja macht Blum aber auch klar, dass Marks Tod ganz sicher kein Unfall war. Er als Einziger hatte ihre Anklage geglaubt und das teuflische Quintett mit seinem perversen Folterkeller habe ihn ganz offensichtlich wegen seiner Ermittlungsversuche ausgeschaltet.
Nun wird Blum zur Rachegöttin und das unaufhaltsame, immer packender werdende Geschehen wird so aus ihrer Sicht geschildert, dass man ihr emotional wie gedanklich nicht nur ganz nah ist – trotz ihres unerbittlichen Feldzuges können nur ganz arge Moralapostel nicht auf ihrer Seite sein. Wie sie diesem Schreckensquintett aus Fotograf, Priester, Jäger, Koch und Clown auf die Spur kommt und ihnen mit faszinierender Fantasie und Hartnäckigkeit den Garaus macht, das sucht seinesgleichen und glänzt mit raffinierten Wendungen.
Blum wird zur Hyäne und ihre Berufserfahrung fließt auf makabre Weise in spektakulären Szenen mit ein. Da ist so manches ausgesprochen hart und zuweilen auch durchaus unappetitlich, aber Zartbesaiteten ist ohnehin dringend von der Lektüre abzuraten.
Aichners knapper, zupackender Stil, der auf schmückendes Beiwerk verzichtet und sich ganz aufs Wesentliche konzentriert, lässt nicht zu, diesen Thriller zwischendurch aus der Hand zu legen. Manche Szenen gehen mächtig unter die Haut und am erstaunlichsten an diesem stellenweise bitterbösen Meisterwerk des Genres ist wohl, wie sympathisch einem diese rachsüchtige Mörderin trotz ihres schlimmen Tuns wird. Charaktere, Tempo, Prosa, alles stimmt hier und absolut filmreif ist dieser Roman sowieso. Die Vermutung sei gewagt: dies ist der beste Krimi des Jahres und das gilt nicht nur für die deutschsprachige Originalfassung.

# Bernhard Aichner: Totenfrau; 446 Seiten; btb Verlag, München; € 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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