MARTIN CÜPPERS: WALTHER
RAUFF IN DEUTSCHEN DIENSTEN
Noch im Alter kokettierte Walther Rauff (1906-1984) mit seinem Mitwirken am Holocaust und
zahlreichen SS-Schandtaten: Ich bin ein staatlich geprüfter Kriegsverbrecher.
Erstmals liegt nun unter dem Titel Walther Rauff in deutschen Diensten. Vom
Naziverbrecher zum BND-Spion eine umfassende Biographie über diese exemplarische
Figur der Zeitgeschichte vor.
Verfasst hat sie Martin Cüppers, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle
Ludwigsburg der Universität Stuttgart, in deren Veröffentlichungsreihe dieses Buch als
Band 24 erschienen ist. Der NS-Experte konnte dabei nicht nur eine Reihe privater Briefe
Rauffs sondern auch erstmals freigegebene BND-Akten auswerten, so dass ein so bisher noch
nicht mögliches Gesamtbild entstehen konnte.
In den Eingangskapiteln macht Cüppers deutlich, in welche gutbürgerlichen, streng
konservativen Familienstrukturen Rauff hineingeboren wurde. Zugleich wird der
zeitgeschichtliche Hintergrund mit den gewaltigen Umbrüchen vom Kaiserreich über den
Ersten Weltkrieg bis in die bewegten ungefestigten Zeiten der Weimarer Republik als
Grundlage für Rauffs weltanschauliche Prägung und Entwicklung geschildert. Angeregt
durch eine große Affinität der Familie zur Marine, geht auch der frischgebackene
Abiturient zu dieser Waffengattung, genießt den reaktionären Korpsgeist und macht
Karriere.
Um so heftiger ist 1937 der Bruch in seiner gesamten Lebensgestaltung, den er durch einen
Ehebruch selbst verschuldete. Der unehrenhaften Entlassung aus der Marine kann er nur
entgehen, indem er selbst aus dem Dienst scheidet. In seiner völligen Verunsicherung und
ohne berufliche Perspektive wendte er sich um Hilfe an einen guten Bekannten, der
inzwischen Karriere bei der rasant erstarkenden SS gemacht hat. Der vermittelt ein
Vorstellungsgespräch beim zweitmächtigsten Mann nach Heinrich Himmler und dieser
Reinhard Heydrich eröffnet ihm den Weg zum Abteilungsleiter im mächtigen
Reichssicherheitshauptamt.
Die gemeinsame, durch eine Frauengeschichte gescheiterte Marinevergangenheit trug
offensichtlich stark zu dieser Weichenstellung bei, obwohl Rauff bis dahin nahezu
unpolitisch gewesen war. Als höchst effektiver Karrierist zeigt sich hier in kurzer Zeit
die Wandlung vom Opportunisten und zufälligen SS-Mann zum ideologisch überzeugten
Initiativtäter, wie die spätere Einstufung seitens der Alliierten lautete. Den
radikalen Antisemitismus wie auch die sonstige Nazi-Gesinnung vertrat Rauff dann bis zu
seinem Lebensende offen und mit voller Überzeugung.
Ab 1939 war er gänzlich involviert in den Holocaust und er gilt als Erfinder der
effizienten Vergasungswagen, auf deren Konto allein hunderttausende von Opfern gehen.
Später sollte er in Zusammenarbeit mit den Arabern den Holocaust im Orient vorantreiben,
was aber mit der Niederlag des Afrika-Korps unmöglich wurde. Eher zufällig brachten ihn
die Kriegsereignisse dann nach Nord-Italien, wo er ab September 1943 oberster SS- und
Gestapo-Chef wurde. Seine Schreckensherrschaft, die erst mit seiner Gefangennahme am 30.
April 1945 endete, umfasste unter anderem Sühneaktionen mit vielen zivilen Opfern sowie
die Deportationen tausender italienischer Juden in die Vernichtungslager.
Geradezu lächerlich einfach gelang dem ungebeugten SS-Standartenführer a.D.
(vergleichbar mit dem militärischen Oberst) Ende 1946 die Flucht aus dem italienischen
Gefangenenlager und die von katholischen Kirchenkreisen aktiv geförderte
Rattenlinie, die reihenweise SS-Schergen und Nazi-Bonzen die Flucht vor allem
nach Südamerika ermöglichte, half auch Rauff. Der ging allerdings zunächst nach Syrien,
wo man seine ideologischen Überzeugungen sehr schätzte.
Nach einigen Jahren wechselte er nach Ecuador und es soll der spätere Diktator Pinochet
gewesen sein, der Rauff zumindest angeregt haben soll, dann nach Chile zu gehen. Mit
echten deutschen Papieren kann er sich hier niederlassen und er beginnt 1958, für den
westdeutschen Bundesnachtrichtendienst (BND) zu arbeiten. Es kommt sogar zu unbehelligten
Einreisen in die Bundesrepublik zu nachrichtendienstlichen Schulungen und als es
schließlich Haftbefehle gegen ihn gibt, bleiben die mangels entsprechender
Durchsetzungsversuchen folgenlos. Ein Auslieferungsverfahren lehnt Anfang der 60er Jahre
die chilenische Regierung ab und zur Allende-Zeit kommt es gar zu fast freundschaftlichen
Beziehungen zwischen dem Nazi und dem sozialistischen Präsidenten.
Auch die letzten Jahre bis zu seinem Krebstod mit 77 Jahren verlaufen trotz
verschiedentlicher Versuche seiten des Nazi-Jägers Simon Wiesenthal und der Israelis
relativ angenehm und ungestört. Martin Cüppers beschreibt all das detail- und
kenntnisreich, dabei aber auch sehr unterhaltsam und stelleweise regelrecht spannend. Die
hohe Qualität dieses wissenschaftlich fundierten Werkes ergibt sich zudem aus den
hervorragenden Einblicken in das Werden dieser Karriere, die aufs Engste mit der
Entwicklung des Innenlebens von NS-Staat und SS-System einhergegangen ist.
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# Martin Cüppers: Walther Rauff in deutschen
Diensten. Vom Naziverbrecher zum BND-Spion; 438 Seiten, div. Abb.; Wissenschaftliche
Buchgesellschaft, Darmstadt; 49,90
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)
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