INGRID NOLL: HAB UND
GIER
Ingrid Noll ist eine liebenswürdige Großmutter mit warmherzigem Lächeln, doch auch mit
nun 78 Jahren hat sie nichts von ihrem bitterbösen Humor verloren, mit dem sie
hinreißende Krimis schreibt. Auch ihr jüngster Roman mit dem verheißungsvollen Titel
Hab und Gier ist wieder eine rabenschwarze Komödie.
In den Mittelpunkt stellt sie als Ich-Erzählerin die 60-jährige Karla, vorzeitig in den
Ruhestand gegangene Bibliothekarin aus der Stadtbücherei. Die seit langem Geschiedene
lebt jetzt von einer solch bescheidenen Rente, dass sie sich nicht mal mehr ein eigenes
Auto leisten kann. Da kommt das Überraschungsangebot des früheren Kollegen Wolfram sehr
gelegen. Schon die Einladung an sich war ungewöhnlich, denn besonders nahe standen sie
sich nie.
Jetzt aber lädt er sie zu einem Gabelfrühstück ein und dabei eröffnet ihr
der todkranke Witwer ein verlockendes Angebot. Sie soll sich für den Rest seines Lebens
um ihn kümmern. Dafür erbt sie die Hälfte seines Vermögens. Offenbar hat er allerhand
von seiner verstorbenen Frau geerbt einschließlich der Villa, in der er lebt, und Kinder
gibt es nicht. Doch Wolfram setzt noch einen drauf: bringt sie ihn auf die von ihm
gewünschte Weise und zu dem von ihm bestimmten Zeitpunkt um, bekommt sie sogar alles.
Karla kann sich zwar nicht gleich für eine Variante entscheiden, will aber auch nicht zu
kalt berechnend erscheinen, also beginnt sie sich um ihn zu kümmern und entdeckt dabei,
dass sie ihn sogar mag. Doch wie es so geht, bald ist Karla in ihrem Tun auf Hilfe
angewiesen. Erst wohnt deshalb ihre junge Nachfolgerin Judith auch in der Villa und deren
Ex-Freund Cord spielt kurz darauf ebenfalls einen wichtigen Part.
Ist Judith schon etwas suspekt, scheint der anderweitig verheiratete junge Mann sogar
richtig was auf dem Kerbholz zu haben. Und die Aussicht auf ein leicht zu erwerbendes
Vermögen beeinträchtigt bekanntlich selbst bei braven Bürgern wie Karla die moralische
Standfestigkeit. Mehr sei von dieser Geschichte um mehr oder weniger freiwillige illegale
Sterbehilfe nicht verraten. Außer vielleicht, dass es nicht bei dem einen Ableben bleibt.
Das Alles ist nicht nur haarfein durchdacht und wunderbar lebensnah geschrieben, einmal
mehr fasziniert diese Leichtigkeit der Prosa und die Charaktere sind wie immer exzellent
erfunden. Fazit: ein weiteres herrlich unmoralisches Meisterwerk.
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