PATRICK FLANERY:
"ABSOLUTION"
Nach vielen Jahren in den USA betritt Sam Leroux erstmals wieder den Boden seiner Heimat
Südafrika. Der junge Journalist soll die weltberühmte betagte Schriftstellerin Clare
Wald interviewen, um eine Biographie über sie zu schreiben. "Ich bin ein
Albtraum", macht sie ihm jedoch gleich beim ersten Treffen klar, und tatsächlich
gibt sie sich grantig und unkooperativ.
Damit beginnt Patrick Flanerys Roman "Absolution". Der führt zwar nach Kapstadt
um 1994, als es die ersten freien Wahlen in dem Land gibt, ganz wesentlich aber hat er die
Zeit des Apartheid-Regimes zum Thema. Leroux stößt auf eine Mauer von Tabus, über die
Clare Wald nicht bereit ist, auch nur irgendetwas von sich preiszugeben und ihre
Tagebücher oder andere private Korrespondenz darf er ebenfalls nicht einsehen.
Dabei ist Walds Tochter vor Jahren offenbar nicht einfach verschwunden, nachdem sie den
bewaffneten Zweig des ANC (African National Congress) unterstützte. Walds Schwester
dagegen wurde definitiv ermordet sie wiederum wegen der Unterstützung des alten
Rassisten-Regimes. Wie sich später abzeichnet, hatte sich die große Autorin selbst
anscheinend so weit mit dem Regime arrangiert, dass sie Problemen durch Selbstzensur und
Selbstverleugnung aus dem Wege ging.
Doch so sehr die alte Dame dem Interviewer auch ihre Version der Tatsachen oder auch
schlicht Lügen vorsetzt, wird zunehmend deutlich, dass er ebenfalls seine Geheimnisse
hat. Vor allem gab es Vorgänge in seiner Jugend, die mit Clares Leben verbunden sind, und
sein Interesse an ihrer Vita ist nicht ganz so auschließlich akademisch, wie er vorgibt.
Der Roman entfaltet sich mit drei Erzählebenen und während Leroux als Ich-Erzähler
fungiert, berichtet Clare in der Du-Form nicht nur von den Vorgängen um Schwester und
Tochter, sie erinnert sich auch an das Kind Sam, in dem sie Leroux wiedererkennt,
allerdings ohne ihm das zu offenbaren.
Es gibt zwar auch noch einen "neutralen" Berichterstatter, was aber ist Wahrheit
und wie viel ist gefärbte oder gar erfundene Vergangenheit? Vor allem die Greisin ist
eine höchst unzuverlässige Vergangenheitsbewältigerin, wie allmählich immer deutlicher
wird. Welche Sünden sind real, welche sind eingebildet und vor allem - kann es eine
Absolution dafür geben und wer könnte sie erteilen? Immerhin findet dieses belauernde
Spiel in einer südafrikanischen Gegenwart statt, in der viele Menschen nicht recht
wissen, wie sehr sie die neue Freiheit begrüßen sollen. Gewalt und Terror schaffen
Verunsicherung und auch Clare Wald lebt nach einem seltsamen nächtlichen Einbruch mit
Sicherheitszäunen und Security-Maßnahmen in einer Art Belagerungszustand.
Dieser Roman dringt tief ein in eine völlig verunsicherte Gesellschaft, wo keiner dem
anderen traut und offenbar niemand ganz frei von alten Sünden ist. Zugleich wirft das
Geschehen vor authentischem Hintergrund auf manche von ferne gesehenen Wahrheiten über
Südafrika ein etwas anderes Licht. Patrick Flanery hat das Alles in seinem Erstling durch
die verschiedenen virtuos miteinander verknüpften Handlungsstränge zu einem Stück
fesselnder Gegenwartsliteratur werden lassen. Der lange Schatten der Apartheid - wohl
selten wurde er so meisterhaft entlarvt.
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