STEPHANIE NANNEN: "HENRI NANNEN"

Die deutsche Nachkriegsgeschichte und hier insbesondere die Presse als Garant der Demokratie hatte drei Säulen, drei Männer, die vor allem die ersten Jahrzehnte maßgeblich prägten: Axel Cäsar Springer, Rudolf Augstein und Henri Nannen.

Letzterer hätte am 25. Dezember dieses Jahres seinen 100. Geburtstag gehabt - übrigens exakt eine Woche nach seinem Freund Willy Brandt - und das war ein willkommender Anlass für die Biographie "Henri Nannen. Ein Stern und sein Kosmos". Ihre Verfasserin ist eine Journalistin mit besonders intimem Zugang gerade zu dem bewegten Privatleben des Polizistensohns aus Emden: seine Enkelin Stephanie Nannen.

Sie hat eine Fülle von Dokumenten gesichtet, darunter viel Privates, sie hat mit Familienmitgliedern und Weggefährten gesprochen und vieles ist durch das einstige recht enge Verhältnis zum Großvater besonders kenntnisreich unterfüttert. Und eines sei vorweg gesagt zu Bedenken wegen zu großer persönlicher Nähe: ja, diese Biographie ist liebevoll geraten, dennoch ist sie auch kritisch genug, um nicht nur glorifizierenden Hommage abzustürzen.

Kunststudent, im Krieg Bordschütze und Berichterstatter, dabei als Sohn eines Sozialdemokraten bekennender SPD-Mann, war Nannen ähnlich Augstein in den Nachkriegsjahren Magazingründer unter britischer Besatzungsmacht. Und dieser Macher, den die Enkelin als egoistischen Berserker beschreibt, der ebenso charismatisch wie despotisch aber auch ebenso liebenswürdig wie großzügig war, schuf mit dem "Stern" das erfolgreichste und auflagenstärkste Magazin Deutschlands.

Er war der alles überragende Blattmacher mit gnadenlosem Perfektionsimus und dem Instinkt für das, was Lieschen Müller lesen wollte - und diese Durchschnittsfigur war keineswegs despektierlich gemeint. Wobei er selbst eines niemals war: Mittelmaß, weder als Journalist noch als Privatmann. Früh nimmt er auch Einfluss und in den 60er und 70er Jahren fungiert er als gewichtiger Unterstützer der sozialliberalen Koalition und Willy Brandts Ostpolitik.

Doch die Biographin widmet sich auch den charakterlichen Seiten des rastlosen Machers, der als Partner und Ehemann schwierig war. Er liebte die Frauen, ließ zu viel Nähe jedoch nicht zu. Ohne nennenswerte Schuldgefühle bekannte er gegenüber der Enekelin: "In sexueller Hinsicht bin ich immer ein Hallodri gewesen." Dieses Faible des Blattmachers, der auch in dieser Hinsicht ein Tabubrecher war, wurde gleichwohl von einem anderen fast noch überboten: der Liebe zur Kunst.

Besonders als er sich aus dem Tagesgeschäft herauszog - er erlebte zwar noch bittere Stunden im Zusammenhang mit der unsäglichen Pleite mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern, hatte diese aber nicht zu verantworten - wandte er sich immer intensiver der Kunst zu. Wie er aus seiner Leidenschaft als Sammler und Kunstliebhaber die Kunsthalle Emden entstehen ließ, das liest sich ebenfalls spannend.

"Er war ein empfindsamer, wuchtiger, unglaublich lebendiger Mensch, neugierig, begeisterungsfähig und unangepasst", fasste Stepahnie Nannen zusammen. Und all das belegt diese durchweg sehr interessante und gut zu lesende Biographie über einen der großen und wichtigen Zeitungs-Tycoone der jüngeren deutschen Geschichte, die er in nicht geringem Maße mit beeinflusste.

 

# Stephanie Nannen: Henri Nannen. Ein Stern und sein Kosmos; 400 Seiten, div. Abb.; C. Bertelsmann Verlag, München;

€ 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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