ERIC SCHLOSSER: "COMMAND AND CONTROL"

"Mit einer Mischung aus Fachwissen, Glück und göttlicher Vorsehung, vermutlich aber vor allem letzterem, haben wir den Kalten Krieg ohne einen nuklearen Holocaust überstanden." Diese Feststellung traf 1992 General George Lee Butler, letzter Chef des SAC (Strategic Air Command), nach der Auflösung dieses obersten US-Luftkommandos.

Wie viel erschreckende Wahrheit in dem Zitat steckt, offenbart der Historiker und Journalist Eric Schlosser in seinem Tatsachenthriller "Command and Control. Die Atomwaffenarsenale der USA und die Illusion der Sicherheit. Eine wahre Geschichte". Auf der Grundlage intensiver Recherchen, Interviews mit Augenzeugen und der Einsicht in geheime Unterlagen des Verteidigungsministeriums schildert er als zentrales Ereignis einen Unfall in einem Atomwaffensilo.

Was in diesem Siloareal bei Damascus, Arkansas, am 18. September 1980 passierte, war nur einer der 32 gelisteten "Broken Arrows" (seit 1950 der Terminus für Unfälle mit Nuklearwaffen). Er hätte allerdings der folgenreichste werden können, denn betroffen war eine gefechtsbereite Titan II-Interkontinentalrakete mit einem Gefechtskopf in Megatonnenstärke, der für millionenfachen Tod konzipiert war. Was die Beinahe-Katastrophe auslöste, war ein eher alltägliches Missgeschick, als einem Mechaniker bei Routinearbeiten der Steckschlüsselsatz in die Tiefe fällt und viel weiter unten den Treibstofftank mit hochgiftigem Inhalt beschädigt.

Hochdramatisch beschreibt der US-Autor nun die Kettenreaktion, die schließlich nach stundenlagen verzweifelten aber nicht immer zielführenden Bemühungen bis zur infernalischen Explosion des Silos führt. Wie nahe die USA einer verheerenden Katastrophe in diesen Stunden war, als der Gefechtskopf dann doch nur in einen Graben außerhalb des Silos geschleudert wurde, ohne selbst zu explodieren, enthüllt erst dieses Buch.

Schlosser belässt es jedoch nicht dabei bewenden, vielmehr flicht er in ebenso spannenden wie gut verständlichen Kapiteln detailliert die Geschichte der amerikanischen Atomrüstung ein. Vom ersten Atombombenversuch im Juli 1945 in der Wüste von New Mexico und dem Einsatz über Hiroshima und Nagasaki bis zum Beginn des Wettrüstens nach dem überraschenden Atombombenversuch der Sowjets im August 1949 und der Wasserstoffbombe (H-Bombe) als nochmaligem Quantensprung an Vernichtungskraft fesseln diese Ausführungen.

Und lassen frösteln, denn der Autor schildert auch weitere atemberaubende Zwischenfälle, also "Broken Arrows" in der Luft und am Boden. Immer wieder wird beängstigend deutlich, wie unvollkommen das Kommando- und Kontrollsystem während des größten Teils des Kalten Krieges war. Mal sind es unzureichende Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen seitens des nicht immer kompetenten Personals, mal sind es haarsträubende technische Unzulänglichkeiten, die zu Beinah-Katastrophen führen.

Da schaudert es beim Lesen, wenn am 23. Januar 1961 (John F. Kennedy ist soeben Präsident geworden) über North Carolina ein B 52-Bomber in der Luft zerbricht und eine H-Bombe exakt ihren vorgesehenen Angriffsstufen wie beim einem gezielten Abwurf folgt - ein letzter, technisch simpler Sicherheitsmechanismus verhindert die Explosion, weil die Zielangabe "Ground" oder "Air" nicht ernstfallmäßig eingeschaltet war. Hätte diese 4-Megatonnen-Bombe gezündet, wären millionenfacher Tod und die Auslöschung gleich mehrerer Großstädte garantiert gewesen.

Die Atombewaffnung ist zweifellos die komplexeste und gefährlichste Waffenansammlung der Welt - auch für ihre Besitzer und "Verwalter". Schlosser zeigt sie quasi auch von unten, vor Ort in den Silos und Arsenalen wie in der Luft, aber ebenso auch die nicht nur technisch unvollkommene Beherrschung seitens all der Konstrukteure, Ingenieure und noch mehr der Militärs. Doch auch das Denken der Politiker und der militärischen Strategen hat Schlosser untersucht und viel Erschreckendes gefunden. Schon vor der Kuba-Krise wurde ernsthaft über begrenzte präventive Atomangriffe debattiert und mit Frösteln liest man von den zweifelhaften Fortschritten durch die Computertechnik, als besonders in der 80er Jahren die Welt gleich mehrfach durch Fehlalarme vor der Apokalypse stand. Doch es wird auch an die noch immer allgegenwärtigen riesigen Arsenale mit all ihren Risiken auch im Normalzustand erinnert wie auch an die beunruhigende Zunahme der Gefahren durch neue Atombombenbesitzer wie Indien und Pakistan als zutiefst verfeindete unmittelbare Nachbarn.

Fazit: ein hochspannendes Buch, brillant geschrieben und voller bisher wenig und gar nicht bekannten Einblicken in eine eigene unheimliche Welt - wäre das Alles doch nur nicht so verdammt wahr und furchteinflößend!

 

# Eric Schlosser: Command and Control. Die Atomwaffenarsenale der USA und die Illusion der Sicherheit. Eine wahre Geschichte (aus dem Amerikanischen von Sven Scheer und Rita Seuß); 598 Seiten; C. H. Beck Verlag, München; € 24,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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