PER OLOV ENQUIST: "DAS BUCH DER GLEICHNISSE"

"Als ich Kind war, lernte ich, dass es trotz allem einen Typ der Dichtung gab, der nicht Sünde war. Es waren die Gleichnisse der Bibel. Die Gedichte über das Wunder." Der das sagt, hat eine Jugend im schwedischen Västerbotten durchlebt, die von den streng religiösen puritanischen Herrenhutern geprägt war, bei denen Literatur wie auch Sexualität als sündig galten.

Eben das ist eingeflossen in Per Olov Enquist neues Werk "Das Buch der Gleichnisse" und man findet genug Parallelen und Details aus seinem Leben, um den starken autobiographischen Bezug in diesem außergewöhnlichen Liebesroman zu entdecken. Anstoß zu dem Buch war eine Postsendung mit einem Bündel, das den verbrannt geglaubten Notizblock seines Vaters Elof enthielt.

Liebeslieder an die Mutter Maja, die gestrenge Religionslehrerin? Das war ebenso überraschend wie das Fehlen von neun herausgerissenen Blättern. War hier das Geheimnis seiner Eltern zu entdecken? Doch während sich der Autor müht, die Liebesgeschichte seiner Eltern in Worte zu fassen - immer daran zweifelnd, ob er überhaupt fähig ist zu einem echten Liebesroman - entsteht stattdessen eine andere auf dem Papier.

Genährt von seinen eigenen Erinnerungen lässt Enquist seinen fiktiven Schriftsteller "Per Ola" hineintauchen in jenen Sommer 1949, der ihn unauslöschlich prägen sollte. Er ist 15 und kommt ins Plaudern mit Ellen, die auf dem benachbarten Larssonhof lebt. Die 51-Jährige benimmt sich sehr freizügig an diesem heißen Tag, sonnt sich wie selbstverständlich halbnackt. Wie sie ihn dann mit geradezu unschuldigen Worten sanft aber sehr zielstrebig verführt, das ist die hinreißende Schlüsselszene des Romans.

Den ungewöhnlichen Reiz macht dabei insbesondere die Unfähigkeit des so einseitig erzogenen Jünglings aus, der keine normalen Worte für dieses Erleben und seine Empfindungen findet. So bleibt es selbst in der nie verloschenen Erinnerung in religiöse Worte und Metaphern gekleidet. Und trifft gleichwohl einen Ton, der seltsam angenehm anklingt. Umso mehr berührt die staunende Erkenntnis des Knaben, als Ellen ihn in sich zieht: "Hinein in den Sinn des Lebens." Und nie wird er diese Liebeserfahrung vergessen, auch wenn es bei dieser einzigen intimen Begegnung mit ihr bleibt.

Als er sie neun Jahre später wiedersieht, er inzwischen angehender Schriftsteller, sie jetzt 60 Jahre alt, möchte er ihr schreiben. Sie jedoch lehnt das ab, schreiben solle er ihr erst, wenn sie tot ist. Doch gerade die Einmaligkeit des Liebeserlebnisses konnte die magische Wirkung einpflanzen. Und Enquist macht daraus eine großartige Fallstudie, bei der ihm eines klar wurde: die fehlenden neun Blätter im Notizblick seines Vaters gaben ihm just jene literarische Freiheit zu dieser erfundenen und zugleich wahren Geschichte.

Ein großer Autor, der sich längst von den Fesseln der einstigen religiösen Erziehung freigeschrieben hatte, geht mit der eigenen Vergangenheit den Rätselfragen des Lebens und des Sinns seines Schreiben nach. Fazit: ein eindringlicher Prozess des Erinnerns und Besinnens, der höchst genussvoll ist und zugleich nachdenklich macht.

 

# Per Olov Enquist: Das Buch der Gleichnisse (aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt); 223 Seiten; Carl Hanser Verlag, München; € 18,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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