LAUREN GROFF: "ARCADIA"

Den Traum, in einer Hippie-Kommune aufzuwachsen, erlebt Rodney Stone, wegen seiner von klein auf geringen Größe Bit genannt, am eigenen Leib. Wie sich das anfühlt, was daraus wird und wie schwer es Jahrzehnte danach wird, di einstigen Utopien zu verteidigen, davon erzählt Lauren Groff in ihrem neuen Roman "Arcadia".

Das ist auch der Name jener Kommune im US-Bundesstaat New York, in die Bit um 1970 hineingeboren wird. Eröffnet wird der erste Teil, in dem die Gruppe um den charismatischen Anführer Handy blüht und sich ganz dem ländlichen Hippie-Traum widmet, mit einer idyllischen pränatalen Sequenz des Jungen. Bald aber erlebt Bit das sehr eigene Leben seiner kleinen Welt auf einem Grundstück mit einem alten Schulhaus und dem im Mittelpunkt stehenden Doppeldeckerbus "Pink Piper" ganz bewusst.

Zur friedlichen Gemeinschaft gehört die vegane Nahrung so selbstverständlich wie der freizügige polygame Umgang miteinander. Ohnehin ist Nacktheit an der Tagesordnung und die schwangeren Frauen haben auch keine Scheu, den fünfjährigen Bit beim Gebären quasi als eine Art kleinen Geburtshelfer in ihrem Bett zu haben.

Der Charme des Erzählten entspringt gerade der aus Kinderaugen und ohne jede Kenntnis der "normalen" Welt geschilderten Blütezeit Arcadias. Doch dieser unverstellte Blick offenbart bereits ein Grundproblem der utopischen Hippie-Vorstellungen: wer macht zum Beispiel den Abwasch, während alle high und glücklich miteinander sein wollen? Für Bit kommt eine sehr persönliche Unsicherheit hinzu - auch seine Eltern benehmen sich polygam, dabei wünscht er sich inständig, dass daraus keine Trennung entstehen möge.

In dieses Utopia jenseits aber nicht wirklich außerhalb der restlichen Welt, für das man Kind oder auf dem Trip sein muss, um es als Paradies zu empfinden, schleichen sich schließlich Spannungen und Risse. "Liebe, Arbeit, Offenheit für die Bedürfnisse jedes Einzelnen" hieß der Grundsatz, der sich jedoch nicht halten lässt, zumal dann auch noch Druck von außen hinzukommt.

Es sind melancholische Schilderungen des älter werdenden Bit und viel später schaut er als schlecht bezahlter Professor, verwitwet und Vater einer Tochter nachdenklich zurück auf den zerbrechlichen Traum, in dem er aufgewachsen ist.

Das berührt und bewegt, denn alles wird genährt von dem real erlebten und doch so unwirklichen Traum. Und wenn dieser Roman von großer Klasse ist, liegt das vor allem an diesem geradezu magischen poetischen Stil, in dem es geschrieben ist. Wer im Übrigen im Gegensatz zu

Lauren Groff die Hippie-Ära noch aus eigener Anschauung kennt, kann nur staunen, wie einfühlsam und authentisch die junge Autorin diese Geschichte verfasst hat.

 

# Lauren Groff: Arcadia (aus dem Amerikanischen von Judith Schwaab); 304 Seiten, Klappenbroschur; C. H. Beck Verlag, München; € 18,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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