ERNST HORST: "DIE NACKTEN & DIE TOBENDEN"

Die Freikörperkultur, kurz FKK genannt, war seit ihrem Aufkommen im späten 19. Jahrhundert ein Aufreger für weite Kreise, allen voran den prüden Konservativen und noch mehr den katholischen Tugendwächtern. Diesem vor allem sehr deutschen Phänomen hat sich der Kulturforscher Ernst Horst mit seinem Buch "Die Nackten & die Tobenden" gewidmet.

In den Vordergrund stellt er die Hochzeit der FKK in der Zeit von 1949 bis um 1970 und hier muss angemerkt werden, dass der Untertitel "FKK - Wie der freie Körper zum deutschen Kult wurde" ein wenig hoch gestochen ist. Die teils noch aus Kaiserszeiten herrührenden FK-Bewegungen und ihre weltanschaulichen Unterfütterungen werden eher informativ gestreift. Außerdem berührt Ernsts Untersuchungsbereich in erster Linie ein sehr westdeutsches Thema.

Was er aber an Informationen aus der frühen bundesrepublikanischen Ära ausbreitet, lässt immer wieder schmunzeln oder den Kopf schütteln. Da verlangte zum Beispiel 1953 ein Würzburger Regierungsschulrat, dass Studenten Anatomie nur am männlichen Körper lernen. Die des weiblichen Körpers solle erst dazukommen, wenn die Studenten verheiratet seien. Weitaus heftiger schäumten allerdings die katholischen Sittenverteidiger, die insbesondere hinter den hohen Schutzzäunen der FKK-Areale übelste Verderbnis witterten.

Deutlich wird jedoch, dass die FKK-Vereine durchweg von kreuzbraven Bürgern gegründet wurden, um mit Familie und Freunden im sogenannten "Lichtkleid" harmlosen alltägliche Vergnügungen wie Ringtennis oder Baden nachzugehen. Worauf in der gesitteten Öffentlichkeit glatt Perversionen vermutet wurden. Was auch zu allerlei Schikanen gegenüber den Nudisten führte, allein schon wenn sie ein Vereinsgelände anlegen wollten.

Der Autor nennt denn auch das Gewese gegen die FKK ein Pseudoereignis. Das sich allerdings maßgeblich aus einer besonders heftig bekämpften Begleiterscheinung nährte: den Publikationen aus den Reihen der FKK-Freunde. Magazine wie "Sonnenfreunde", "Licht und Schönheit" oder "Nudisten-Magazin" erfreuten sich einer Leserschaft, die die Zahl der aktiven FKKler um ein Vielfaches überschritt - was Wunder bei der Fülle von Fotos, die sie zierten.

In diesen Zeiten, da man echte Nackedeis nur als verbotene Ware aus Skandinavien zu hohen Preisen unter dem Ladentisch beziehen konnte, boten die FKK-Zeitschriften einen willkommenen Ersatz, denn bei aller Bravheit der Fotos zeigten sie doch echtes "nacktes Fleisch" und natürlich sorgten die Herausgeber dafür, dass die weit überwiegende Mehrheit der Aufnahmen ansehnliche junge Damen abbildeten mit einigen "Normalos" und männlichen Wesen eher als Alibi.

Selbstverständlich wurden die Hefte bis hin zum "Gesetz gegen Schmutz und Schund" und wegen der Gefahr der sittlichen Gefährdung der Jugend bis hin zum Bundesgerichtshof verfolgt. Diese einzigartige Medienlandschaft verlor ihre (fast ausschließlich männliche!) Leserschaft erst Anfang der 70er Jahre, als die Gesetze gelockert wurden und die nun leicht zugänglichen Sex- und Porno-Postillen Schärferes zu bieten hatten.

Ernst Horst schildert in seiner Untersuchung viel Erstaunliches und unterhält ohne besonders kritische Bereiche wie Pädophilie oder fragwürdige Propagandisten der FKK eingehender zu beleuchten. Manche verquere Haltungen zur FKK-Bewegung erscheinen aus heutiger Sicht nur noch schwer nachvollziehbar, die meisten der in der Regel natürlichen und ziemlich ästhetischen Fotos dagegen sind auch heute noch gut anzuschauen.

# Ernst Horst: Die Nackten & die Tobenden. FKK - Wie der freie Körper zum deutschen Kult wurde; 319 Seiten, div. Abb.; Karl Blessing Verlag, MÜnchen; € 22,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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