SIMON LELIC: "DAS KIND, DAS TÖTET"

Leo Curtice ist ein mittelmäßiger Anwalt in einer ebensolchen Kanzlei. Als er unversehens zum Pflichtverteidiger in einem spektakulären Fall bestellt wird, sieht er darin die kaum für möglich gehaltene Chance, doch noch ganz groß herauszukommen. Es geht um den brutalen Mord an einer Elfjährigen, der mutmaßliche Mörder aber ist auch erst zwölf Jahre alt.

"Das Kind, das tötet" heißt der Titel dieses neuen Romans des englischen Erfolgsautors Simon Lelic, der ein brisantes Thema mit unverzüglich einsetzender Sogwirkung ausbreitet. Vomn Ehrgeiz gepackt, befasst sich Anwalt Curtice so engagiert mit dem inhaftierten Jungen, dass er selbst schon bald Ziel massiver Anwürfe wird. Statt den Fall mit der distanzierten Routine eines Strafverteidigers anzugehen, setzt er sich mit diesem Daniel Blake auseinander, will ihm wirklich helfen und entwickelt sogar Mitgefühl mit ihm.

Allmählich bringt er den Jungen tatsächlich zum Sprechen, wenngleich die Aussagen offensichtlich gelogen sind. So war er angeblich mit der kleinen Felicity befreundet und hatte auch Sex mit ihr. Doch gleich auf zwei Ebenen gerät der Fall in gefährliches Fahrwasser. Während sich Curtice und der Junge noch abtasten, versucht dessen Familie, die Dinge in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Mutter ist zwar am Boden zerstört, um so barscher tritt dagegen der bullige Stiefvater auf. Er will ein schnelles Verfahren ohne eingehendere Verhandlung und die Einschaltung eines Psychiaters lehnt er ebenso heftig wie kategorisch ab.

Viel schlimmer aber überschwemmt den Anwalt die wahre Hexenjagd, die zugleich über ihn und seine Familie hereinbricht, weil er sich für ein faires Verfahren für dieses jugendliche "Monster" - so nennt am Ende sogar die Richterin den Jungen - einsetzt. Die Medien wüten, Tochter Ellie wird derartig in der Schule gemobbt, dass sie nicht mehr hingeht. Hinzu kommen unheimliche Drohungen, die auch Ehefrau Megan in Angst und Schrecken versetzen.

Ihr Drängen darauf, den unglückseligen Fall seiner Familie zuliebe abzugeben, stößt bei Leo Curtice auf taube Ohren. Zu sehr ist er schon davon beseelt, wie der üble Fall seine Karriere beflügeln werde. Obendrein meint er immer mehr zu erkennen, dass der jugendliche Verbrecher, der den Mord tatsächlich gesteht, selbst ganz offensichtlich ein gestörtes und verletzliches Opfer ist. Die Leiterin seiner Schule dagegen hält ihn schlicht und einfach für böse - manche Kinder würden eben schon bösartig geboren, ohne Chance einer Rettung.

Als der Prozess bevorsteht mit Leo an Daniels Seite, eskaliert die Situation endgültig und es droht mehr, als dass nur seine Familie über all dem zerbricht, denn Tochter Ellie ist spurlos verschwunden. Mehr sei hier nicht verraten von dem dramatischen Geschehen, das stark an die hasserfüllten Begleitumstände beim Mordprozess James Bulgar in England erinnert, als vor einigen Jahren zwei Schulkinder den Kleinen aus reiner Bosheit umgebracht hatten.

Autor Lelic entzieht sich bei aller Rasanz und pointierter sprachlicher Klarheit einem gänzlich: einer Seitenwahl in dieser Kontroverse. Die überlasst er dem aufgewühlten Leser. Der hat aber auch wegen der exquisiten Prosa ein starkes Stück Literatur vor sich, das fesselt und nachdenklich macht.

 

 

# Simon Lelic: Das Kind, das tötet (aus dem Englischen von Stefanie Jacobs); 350 Seiten; Droemer Verlag, München; € 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS))

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