ELSE BUSCHHEUER: "ZUNGENKÜSSE MIT HYÄNEN"

Wenn einer wie Michael Rothe mit 33 Jahren weltfremd und von der strengen Mutter völlig verkorkst über Nacht aus dem provinziellen Grimmelshausen in die ferne glitzernde Großstadt Rizz flüchtet, dann kann das eigentlich nur der Beginn eines Schelmenromans sein. Wenn der dann aber auch noch von einer solch ungebärdigen Erfolgsautorin wie Else Buschheuer geschrieben ist und den Titel "Zungenküsse mit Hyänen" trägt, muss man darauf gefasst sein, dass Cayenne-Pfeffer darin noch das harmloseste Gewürz darstellt.

Tatsächlich wendet sich das schmale, von allerlei Allergien geplagte Jüngelchen in Rizz an seinen Patenonkel "Big Ben", den bräsigen Verleger des Boulevardblatts "Mittagskurier". Mit seinen dürftigen Erfahrungen als Gelegenheitsjournalist möchte er Redakteur werden und der Onkel hat genau das Richtige für ihn. Kürzlich wurde die mondäne Bestsellerautorin Felicitas Müller - wegen ihrer roten Mähne "rote Müllerin'" genannt - ermordet. Der Fall ist zwar titelstory-mäßig ausgelutscht, aber Onkel setzt den Jungen als naives Trüffelschwein für mögliche Reste darauf an.

Das Anfängerglück ist Michael insofern hold, dass er ausgerechnet im sogenannten Leuchtturm, einem Hochhaus noch aus DDR-Geheimdienstzeiten, ein Apartment findet. Das ist noch nicht von den Utensilien der Vormieterin geräumt, denn das war - die auf noch ungeklärte Weise gemeuchelte "rote Müllerin"! Und hat man eingangs noch gezögert, ob ein solch blasser, komplexbeladener Ich-Erzähler einen ganzen Roman tragen und einem sogar sympathisch werden kann, wird man unversehens derartig in einen aberwitzigen Kosmos schräger Figuren gezogen, dass man dieses äußerst provokante, oft unflätige und lässig auf der Grenze zwischen Realsatire und Unwahrscheinlichkeit tänzelnde Buch nicht mehr aus der Hand legen kann.

Das Panoptikum der teils schwer abgründigen Protagonisten bietet gleich hinreißende Typen auf wie die an Orthesen humpelnde Gritli, die sich vor Jahren aus ihrer Wohnung stürzte und nur knapp überlebte. Grund war Liebeskummer wegen des Modedesigners David, schwuler Wohnungsnachbar von Michael. Vor allem aber verliebt sich Michael sofort in die verstorbene Wohnungsvorgängerin, erforscht die Mysteriöse, ihr Vorleben, ihren einzigen, schlecht geschriebenen Bestseller. Und entdeckt einen Aufschluss verheißenden Schatz: das geheime Tagebuch der "roten Müllerin".

Das ist allerdings dummerweise durch Honig dermaßen verkleistert, dass Michael es erst viel später und mit Gritlis Hilfe entziffern kann. Bis dahin jedoch ist das Alles längst zu einem exzessiven Abenteuer ausgeufert, denn dem jungen Mann gelingt die Kontaktaufnahme zu Dr. Wolfgang Müller. Dieser berserkerhafte Macho ist ein wahrer Gesellschaftslöwe der außergewöhnlichen Art, der in seiner Gelben Villa im nahen Dorf Dingenskirchen thront und als ebenso reicher wie vor allem mächtiger Film- und Fernsehproduzent im wahrsten Sinne die Puppen tanzen lässt.

Fast 60 ist der charismatische Zyniker, doch wenn der reaktionäre Macho ständig Swingerparties durchzieht, bei denen die attraktivsten und möglichst nuttig auftretenden Frauen geradezu wie Wegwerfartikel benutzt werden, muss man wissen - Müller ist seit 30 Jahren durch einen Unfall als Querschnittsgelähmter an den Rollstuhl gefesselt. Da helfen dann Leibarzt Teuben, alle erdenklichen Drogen und medizinische Erektionshilfen. Bei all den durchgereichten Frauen gab es lediglich zwei, die dem Egomanen etwas bedeuteten, weil sie ihm in ähnlich brachialer Anmaßung und Skrupellosigkeit gewachsen waren.

Da war einst "die Gräfin" mit einer mysteriösen Rolle nicht nur in Müllers Vita und seit zehn Jahren die "rote Müllerin", erst durch ihn groß gemacht, dann zur Dauergespielin geworden in einer irren Hassliebe voller körperlicher und seelischer Schlagabtäusche und ständiger Versuche, den anderen zu verletzen und zu demütigen. Dabei spielten und spielen schrille Konkurrenten mit Intrigen und offenen Angriffen hinein und Michael macht mit jeder neuen Erkenntnis samt immer neuen wilden Erfahrungen einen Höllenritt der Reifung durch.

Ob da ein mehrfach "benutzter" Cellist mit Sekundenkleber in den Augentropfen umgebracht wird oder eine schwarzafrikanische Walküre über Müllers Bett zur neuen "Tatort"-Kommissarin aufsteigt - nichts erscheint hier unmöglich und die überbordende Fantasie der Autorin erweist sich bei aller Zügellosigkeit stets auch knallhart und intelligent.

Und wenn man schließlich glaubt, nun sei alles aufgeklärt und gesagt, gelingt Else Buschheuer doch noch eine weitere Wendung und man glaubt es kaum, aber es gibt tatsächlich eine Art Happy End. Natürlich nicht für jeden, für einige jedoch um so ergötzlicher. Wenn auch das in diesem rasiermesserscharfen und zuweilen schreiend komischen Roman mit herkömmlichen Moralvorstellungen herzlich wenig gemein hat, liegt das ganz im Sinne der Geschichte, denn Moral wäre hier nur störend und überflüssig.

Fazit: dieser Roman ist absolut nichts für moralinsaure Feingeister, denn geboten wird ein rasantes modernes Märchen als makaber wogender Karneval der ungehemmten Gelüste. Und war das Ganze als Realsatire gemeint, so ist diese genial gelungen.

 

# Else Buschheuer: Zungenküsse mit Hyänen; 353 Seiten; Aufbau Verlag, Berlin; € 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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