ELANOR DYMOTT: "BIS SIE MICH LIEBTE"

Die Liebe zwischen Alex Petersen und Rachel Cardanine ist seelisch wie körperlich sehr innig. Doch sie währt nicht lang, denn auf einem Mittsommernachtsball am Worcester College in Oxford, wo sie einst zur selben Zeit studierten und nun auch ehemalige Kommilitonen wiedersehen, wird sie im nahen Park brutal ermordet.

Damit beginnt Elanor Dymott ihren Roman "Bis sie mich liebte", der dennoch kein Krimi im eigentlichen Sinne ist sondern eine tiefgründige Liebesgeschichte, die sich allmählich zum Psychothriller entwickelt. Ich-Erzähler Alex zerbricht fast am Verlust der geliebten Frau, doch zur Trauer gesellt sich bald die Erkenntnis, erstaunlich wenig über die zierliche dunkle Schönheit gewusst zu haben.

Je mehr der überaus sensible Rechtsanwalt zum Detektiv in eigener Sache wird, desto verwirrender erweisen sich die nur mühsam herauszufindenden Puzzle-Stücke sowohl des Verbrechens wie auch der Vergangenheit der brillanten einstigen Literaturstudentin. Alex hatte sie zwar schon 15 Jahre zuvor beim Studienbeginn kennengelernt, näher gekommen aber waren sie sich erst viel später. Nach und nach gräbt er Einzelheiten aus, doch vieles erscheint widersprüchlich.

Und eröffnet immer mehr Details aus einem offenbar unübersichtlichen wilden Vorleben, in dem die früh verwaiste Rachel in der Villa ihrer Tante Evie wüste Orgien feierte und womöglich mit den Kommilitonen Cissy und Anthony eine Art Trio Infernal unterhielt mitsamt einer mysteriösen Rollenverteilung. Selbstquälerisch sichtet Alex Verhörprotokolle, Briefe, Mails und sogar Seminararbeiten, er befragt Zeugen und durchforstet Rachels Hinterlassenschaft.

Der vielleicht wichtigste Zeuge und Wegweiser aber ist Harry Gardner, damals Dozent des Trios und eine sehr eigene Figur mit ahnungsvollen Vorstellungen vom unmoralischen Doppelleben seiner drei besten Studenten. Doch wie weit kann Alex diesen oft gewundenen Überlegungen, Schlussfolgerungen und Mutmaßungen des gütigen Literaturprofessors trauen, wie konkret ist das Bild, das er zeichnet und wie passt es zu den verwirrenden sonstigen Fakten? Hinzu kommen Alex' eigene Erinnerungen an die fatale Nacht, die so schwankend und schwer zu fassen sind.

Schließlich ist da der Brief Rachels an Tante Evie, den diese Alex zur Kenntnis gibt, obwohl sie ihn nicht sonderlich schätzt. Darin hat Rachel sich zu ihrer Liebe zu Alex bekannt und allmählich ahnt der Leser, wie sehr die junge Frau darum gekämpft hat, dass die alten Sünden die Liebe ihres Lebens nicht beschädigt. Wenn Alex seine trotz aller dunklen Flecken bedingungslose Liebe am Ende bewahrt, ist dem ein einzigartiger komplexer Indizienprozess vorausgegangen, den der Jurist mal nüchtern analysierend wie ein solcher angegangen ist, mal aber auch emotional und weit abschweifend.

Das Alles zieht und windet sich und dennoch möchte man keine Zeile missen. Dieser im Übrigen exzellent übersetzte Roman entfaltet alsbald eine außerordentliche Sogwirkung. Hier sind Leser gefordert, die sich auf einen langsamen, komplizierten Prozess auf hohem Niveau einlassen - sie werden reich belohnt für ihre Geduld. Fazit: ob Kriminalroman, Liebesgeschichte oder Psychothriller - Elanor Dymott, die selbst am Worcester College Jura und Literaturwissenschaften studiert hat, ist bis in die erotischen Szenen hinein ein exquisites Meisterwerk gelungen.

 

# Elanor Dymott: Bis sie mich liebte (aus dem Englischen von Gertraude Krueger); 510 Seiten; Kein & Aber Verlag, Zürich;

€ 22,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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