FRANZ HOHLER: "GLEIS 4"

Ein kleines aber feines Juwel hat der Schweizer Schriftsteller und Kabarettist Franz Hohler mit seinem jüngsten Roman "Gleis 4" geschaffen. Es beginnt mit einem überraschenden aber nicht sonderlich ungewöhnlichen Todesfall, als ein älterer Herr der Mittvierzigerin Isabell charmant seine Hilfe anbietet und alsbald vor ihren Augen verstirbt.

Noch geschwächt von einer Operation wollte die Abteilungsleiterin eines Altersheims verreisen, tat sich an der Bahnhofstreppe aber schwer mit ihrem Koffer. Der Kavalier half ihr und sank oben am Gleis 4 sterbend zusammen. Isabell vergeht darauf die Lust aufs Verreisen und zum unwillkürlichen Schuldgefühl gesellt sich Neugier. Um so passender kommt ihr da der Umstand, dass sie in der Verwirrung aus Versehen die Mappe des Mannes eingesteckt hat.

Damit setzt ein regelrechtes Detektivspiel ein, denn sie findet das Handy des Mannes, auf dem jemand diesen "Marcel" beschimpft und ihn auf keinen Fall auf der Beerdigung sehen will. Doch die Polizei hat das Hotelzimmer des Ausweislosen ausfindig gemacht. Und ein Handy gefunden, nach dem er Martin heißt. Ein feiner älterer Herr mit zwei Identitäten - das klingt nach Krimi und diese Qualitäten hat das Erzählte auch durchaus.

Als jedoch die Witwe Véronique in die Schweiz kommt, um ihren Gatten einäschern zu lassen, erscheint plötzlich alles geklärt, denn Martin Blancpain, so der offizielle Name, war einst nach Kanada ausgewandert, hatte sich eine Existenz aufgebaut und stets abgelehnt, auch nur ein Schweizer Konsulat zu betreten, geschweige denn, noch einmal in sein Geburtsland zurückzukehren.

Eine erneute überraschende Wendung eröffnet jedoch ganz andere Dimensionen, denn dies ist wirklich kein Krimi. Vielmehr entdecken Isabell, ihre Tochter Sarah und die Witwe eine wahre Familientragödie auf. In seiner tristen Jugend durchlebte Marcel Wyssbrod - so sein wahrer Name - ein Martyrium als unehelich geborenes und abgeschobenes Kind, das als rechtloser "Verdingbub" in einer wenig freundlichen Bauernfamilie landete und nach einem bösen Vorfall über Nacht flüchtete.

Mehr sei von dieser ebenso unglaublichen wie doch realistischen Geschichte nicht verraten, die Franz Hohler hier mit einfacher und zugleich präziser Sprache erzählt. So real und gradlinig war er selten, geblieben aber ist sein knapper Strich, um hervorragende Charaktere zu zeichnen. Das Alles ist spannend wie ein Krimi und bietet zuweilen Anlass zum Schmunzeln über teils deftige Spitzen gegen sein Heimatland - die aber inhaltlich bestens nachvollziehbar sind. Fazit: ein kleiner großer Roman.

 

# Franz Hohler: Gleis 4; 220 Seiten; Luchterhand Literaturverlag, München;

€ 17,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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