ELLIOT PERLMAN: "TONSPUREN"

Bei Elliot Perlmans neuem Roman "Tonspuren" darf man fürwahr von einem Epos sprechen, umfasst er doch einen Zeitraum vom Polen unter Nazi-Herrschaft über die bewegten Zeiten der Bürgerrechtsbewegung in den USA in den 60er Jahren bis in die Gegenwart in New York und das alles mit einem breiten Spektrum an Protagonisten.

Der australische Erfolgsautor mit den polnisch-jüdischen Wurzeln knüpft dazu ein raffiniertes Geflecht von Handlungssträngen und stellt drei beeindruckende Figuren in den Mittelpunkt. Da ist zunächst der Afro-Amerikaner Lamont Williams, Mitte 30, der mit seinem Job in einer New Yorker Krebsklinik nach einer längeren Gefängnisstrafe wieder auf die Füße kommen und auch seine kleine Tochter wiederfinden will.

In der Klinik trifft er auf den betagten Holocaust-Überlebenden Henryk Mandelbrot. Es entsteht eine Art Freundschaft zwischen den Beiden und der alte dahinscheidende Mann erzählt aus den düstersten Jahren seiner Vergangenheit. Polens Geschichte, die Nazi-Gräuel bis hin zum Grauen der KZs - der alte Jude ist ein leidvoll Wissender.

Demgegenüber steht ein gänzlich anders gearteter junger Mann, der so erhebliche Probleme mit seiner Arbeit als Historiker an der Columbia Universität hat, dass darüber sogar seine Liebesbeziehung zu zerbrechen droht. Diesem Adam Zignelik bietet sich durch einen Zufallsfund in einem alten Lager eine Entdeckung, die er sofort als ungeheure Chance erfasst: Tonbandaufzeichnungen von Interviews, die ein Psychologie-Professor unmittelbar nach Kriegsende mit Holocaust-Überlebenden in Deutschland geführt hat.

Diese mit einem noch primitiven Drahttongerät eingefangenen Gespräche von höchster Authentizität sind die titelgebenden Tonspuren des damals so emsigen Professors Border, der die "oral history", die mündliche Überlieferung als Geschichtsschreibung aber auch als eine Chance zur Heilung alter Wunden durchs Erzählen propagierte. Wie hier heißt es auch bei den Erinnerungen des alten Henryk Mandelbrot immer wieder: "Erzählt allen, was hier passiert."

Und das ist schwer Erträgliches, sei es aus dem mörderischen Lageralltag in Auschwitz im eisigen Winter 1944, seien es die Erlebnisse Überlebender noch im Jahr 1946. Das aber verwebt Perlman mit Schilderungen der Rassenunruhen in den USA und den Erlebnissen einer Vielzahl von Betroffenen der verschiedenen Zeitebenen. Wichtig ist zu wissen, dass fast alle hier ausgebreiteten Ereignisse aus der Vergangenheit historisch sind, wofür der Autor etliche Jahre bis hin zu Besuchen in Auschwitz recherchiert hat.

"Die Erinnerung ist ein sturer Hund. Sie kommt, wenn sie hungrig ist, nicht wenn du es bist." Dieses ernste Diktum stellt Perlman an den Anfang des bewegenden und immer wieder auch erschütternden Romans, der auf faszinierende Weise Fiktion und historische Fakten verwebt. Fazit: ein komplexes Werk, großartig geschrieben und absolut überzeugend in seinen moralischen Dimensionen.

 

# Elliot Perlman: Tonspuren (aus dem Englischen von Grete Osterwald); 694 Seiten; Deutsche Verlags-Anstalt, München; € 24,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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