° ANTOINE WILSON: "EIN MANN VON WELT"

Es gibt sie, diese wunderbaren Einfaltspinsel wie John Steinbecks Lennie oder Forrest Gump, die uns mit ihrer unerschütterlichen Naivität die Augen für eine andere Weltsicht öffnen. Jetzt hat Antoine Wilson einen hinreißenden neuen reinen Toren erfunden, den hünenhaften Oppen Porter, Gelegenheitsarbeiter im kalifornischen Städtchen Madera und nun auf dem Sterbebett liegend.

"Ein Mann von Welt" lautet der Titel des ersten von Wilson auf Deutsch erscheinenden Romans. Der beginnt damit, dass Ich-Erzähler Oppen Porter meint, nach einem schweren Unfall im Sterben zu liegen, weshalb er versucht, seinem ungeborenen Sohn Juan-George all das Wissen zu hinterlassen, das ihn sein Leben gelehrt hat. Stunde um Stunde bespricht er dafür nun die alten überklebten Bibel-Kassetten.

27 Jahre lang war sein Alltag der des 1,98 Meter großen gutmütigen Dorftrottels, den jeder mochte und dem die rüpelhaften Alvarez-Brüder ziemlich regelmäßig Streiche spielten. Dann aber findet Oppen eines Tages nach der Heimkehr von der Arbeit seinen geliebten Vater tot am Boden liegend. Als guter JUnge will er den alten Herrn so bestatten, wie der sich das immer gewünscht hat. Also zimmert Oppen im Schuppen einen Sarg zusammen und begräbt den Vater im Garten zwischen den beiden verstorbenen Jagdhunden.

Was natürlich verboten ist und deshalb gräbt die Polizei George Porter wieder aus zwecks ordnungsgemäßer Beisetzung. Leider schadet dieser "Fehler" dem traurigen Jungen auch vor Ort und da nichts mehr so ist wie in den 27 ruhigen Jahren, folgt er dem Ruf von Tante Liz nach Panorama City - was auch der Originaltitel des Romans und unschwer als Los Angeles zu erkennen ist.

Endlich soll aus Oppen Porter ein Mann von Welt werden und Tante Liz hat dazu sehr eigene Vorstellungen. Die kollidieren allerdings mit denen des ersten richtigen Freundes, den Oppen im Fernbus kennengelernt hat. Dieser Paul Renfro mit der zwielichtigen Vergangenheit stellt sich als professioneller Denker vor und tut dem "langsamen Begreifer", als der sich Oppen selbst einstuft, richtig gut. Wie der Hochstapler und der tumbe Tor miteinander philosophieren, ist von hinreißend schräger Logik und tiefer Weisheit wie zum Beispiel: "Die Welt ist nicht so oder so - sie ist beides."

Tante Liz aber schickt den Neffen zum Jobben in einen Schnellimbiss, zwecks Gefühlserkundung zu einem gelangweilten Psychotherapeuten und für sein Seelenheil in die christliche Leuchtturmgemeinde. Nichts davon ist gut für einen wie Oppen Porter, die Wende zum Guten bringt dann jedoch Carmen, die ihn einfach so nimmt, wie er ist. Und nun seinen ungeborenen Sohn unterm Herzen trägt, dem er all dies auf die Kassetten spricht, da er doch meint gehört zu haben, dass die Krankenschwestern mit seinem baldigen Ableben rechnen.

Dieser ständig fortschreitende, unaufhörliche Erzählfluss in seinen tragisch-witzigen Ausführungen, in denen ja gar nicht so furchtbar viel passiert, entfaltet eine verblüffende Sogwirkung. Und so wie Autor Wilson leidenschaftlicher Surfer ist, so gleitet dieser Roman mit faszinierendem Funkeln über endlose Wellen dahin und man wünschte sich als Leser, dieser leichtfüßige Wellenritt würde niemals enden. Und ginge einem dieser Oppen Porter vermutlich im realen Leben mit der Zeit auch auf den Geist, man muss ihn einfach lieben.

 

# Antoine Wilson: Ein Mann von Welt (aus dem Amerikanischen von Wilhelm von Werthern); 324 Seiten; Insel Verlag, Berlin; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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