RICHARD MASON:"DIE GEHEIMEN TALENTE DES PIET BAROL"

Mit seinem Debüt "Der Liebesbeweis" landete Richard Mason einen Welterfolg. Es scheint nicht gewagt, ihm ähnliches auch für seinen mittlerweile vierten Roman vorauszusagen, denn "Die geheimen Talente des Piet Barol" entwickeln von Beginn an eine einzigartige leichtfüßige Verzauberung und Sogwirkung und sind damit so unwiderstehlich wie der Titelheld.

Die Geschichte spielt 1907 im Amsterdam der Belle Époque, wenn Barol mit allerlei Fähigkeiten, hervorragenden Manieren und dem Empfehlungsschreiben eines Professors, der seinem an der Universität Leiden angestellten griesgrämigen Vater noch eine Gefälligkeit schuldete, dort in einer wohlhabenden Familie als Hauslehrer den Start für ein späteres Lebensglück in Amerika setzen will. Mag er auch ein guter Klavierspieler, talentierter Zeichner und vorzüglich gebildet sein, ein immer wieder entscheidender Vorzug ist die Attraktivität des 24-Jährigen, die die meisten Frauen und auch manche Männer sofort für ihn einnimmt.

Das und sein geschicktes Auftreten gibt auch bei Jacobina Vermeulen-Sickert, der Herrin eines der vornehmsten Häuser der Stadt, sofort den Ausschlag, für seine Einstellung zu stimmen. Dem sich ihr Gatte Maarten dann sogleich anschließt, denn auch der Selfmademan und Eigner einiger der besten Hotels Europas empfindet spontane Sympathie. Obwohl ihn weniger Piets verführerische Hände und die verheißungsvollen Augen beeindrucken.

Doch die Aufgabe, die dieser bewältigen soll - und alle Vorgänger sind daran gescheitert - erweist sich als nahezu unlösbar: er soll den zehnjährigen Egbert unterrichten und wieder zu normalem Verhalten führen. Der einzige Sohn und Erbe ist psychisch schwer gestört, leidet unter Zwangsneurosen und zeigt wahrlich verstörende Obsessionen, um seine allgegenwärtigen "dunklen Begleiter" zu besänftigen. Ob Eiswasserbäder, panische Angst vorm Verlassen des Hauses oder endlose Wiederholungen von Bach-Stücken auf dem Klavier, der Junge scheint unerreichbar.

Um so besser kommt Piet mit der übrigen Familie und den Bediensteten aus, wenngleich es da Ausnahmen und Herausforderungen der besonderen Art gibt. Allen voran die attraktive Jacobina, Mitte 40, doch auf merkwürdige Weise frustriert. Was nicht verwundern kann, denn seit der Geburt Egberts hat ihr Ehemann sie trotz aller Liebe nicht mehr angerührt.

Was für Piet schon bald zu einer sehr speziellen Beziehung zu seiner Herrin führt, die mit ihm ungeahnte Freuden erlebt dank seiner Erfahrungen mit einer frühen Lehrmeisterin. So wie die verstorbene französische Mutter einst für seine vollendeten Manieren mit Stil und Geschmack sorgte. Piet bleibt dabei stets auf der Hut, um seine einzigartig gute Stellung nicht zu gefährden. So gelingt es ihm auch, den Avancen der beiden jungen erwachsenen Töchter fast unbeschadet zu entgehen.

Während Maarten Vermeulen-Sickert nun in New York beim Bau des "Plaza"-Luxushotels fast in den Ruin rutscht, schafft Piet daheim durch sein geschicktes Handeln bei unerwarteten Ereignissen die "Heilung" Egberts und Maarten, der sich wegen seiner rigiden Religiosität unter anderem auch die Keuschheit nach dessen Geburt auferlegt hatte, zeigt sich ebenso dankbar wie generös. Ausgerechnet jetzt aber kommt es zu einer überschäumenden Begegnung Piets mit Jacobina und ein Missgeschick führt fast zu seinem Untergang.

Nicht nur dank des ihn hoffnungslos liebenden Zimmergenossen, des Dieners Didier Loubat, hält sich die Schmach in Grenzen und Piet wird von dem endlich als Ehemann wiedererwachten Maarten sogar über Gebühr beim fälligen Abschied belohnt. Dennoch empfindet Piet keinen Triumph, als er sich statt des Zieles New York zu einer Passage mit dem Luxusdampfer "Eugénie" überreden lässt, der das südafrikanische Kapstadt (die Geburtsheimat des Autors!) anlaufen wird.

Piets Absicht bleibt zwar konsequent, zu Geld zu kommen, "ohne es heiraten zu müssen", doch dieses letzte Drittel des ungemein abwechslungsreichen Romans hält noch einmal ein Füllhorn an Überraschungen für den gewitzten Narziss bereit. Wenn er dann zum Finale mit einer charmanten Eroberung am Kap der Guten Hoffnung gelandet ist und sogar ein feines Startkapital sein eigen nennt, endet diese hinreißende Schelmengeschichte mit den verheißungsvollen Worten "Fortsetzung folgt".

Danach wird jeder Leser lechzen nach diesem ebenso intelligenten wie sinnlichen Vergnügen, in dem der junge Autor nicht nur mit elegantem Erzählfluss und der Kunst, Charaktere mit wenigen Strichen lebendig werden zu lassen, immer wieder aufs Neue fasziniert. Mason ist ein Zauberer herrlicher bildhafter Szenen und das gilt insbesondere auch für einige erotische Passagen, die er lustvoll und explizit aber eben auch gekonnt ausmalt - allerdings zu pikant für eine Verfilmung. Fazit: ein Meisterwerk feinster Erzählkunst und wen Piet Barol an einen gewissen Felix Krull erinnert - sie wären Zeitgenossen gewesen und in vielem sicher Brüder im Geiste.

 

# Richard Mason: Die geheimen Talente des Piet Barol (aus dem Englischen von Rainer Schmidt); 318 Seiten; C. Bertelsmann Verlag, München;

€ 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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