BILL O'REILLY: "KILLING KENNEDY"

Am 22. November 1963 wurde John F. Kennedy in Dallas, Texas, erschossen. Die Schockwelle war auch in Deutschland groß und bis heute wird der charismatische US-Präsident hier nicht nur wegen seines legendären Ausspruchs "Ich bin ein Berliner" verehrt. Um so freudiger haben viele den in Amerika bereits erfolgreichen Doku-Thriller "Killing Kennedy. Das Ende des amerikanischen Traums" von Bill O'Reilly (mit Martin Dugard) erwartet.

Doch es sei vorweg gesagt: dieses Buch ist derartig missraten, dass das Manuskript von einem weniger bekannten Autor garantiert sofort im Müll gelandet wäre. O'Reilly aber ist einer der mächtigsten US-Fernsehjournalisten und genießt mindestens eine solche Popularität wie bei uns Ulrich Wickert in seinen besten Zeiten. Allerdings arbeitet O'Reilly für Fox News, einem für reißerischen reaktionären Journalismus berüchtigten Sender, der immer wieder wegen einseitiger Berichterstattung kritisiert wird.

"Killing Kennedy" widmet sich nun dem privaten wie dem politischen Politiker bis hin zum Attentat und der Ermordung des Attentäters Lee Harvey Oswald. Hätte der zuvor mit dem Buch über "Killing Lincoln" so erfolgreiche frühere Geschichtslehrer dieses Buch nun als Roman vor realem historischen Hintergrund vorgestellt, hätten weniger anspruchsvolle Leser es als zwar wenig literarischen aber spannenden Schmöker genießen können.

Das aber soll es gerade nicht sein, denn O'Reilly stellt den Anspruch, dass dies "von der ersten bis zur letzten Zeile ein Sachbuch" sei. Und um das noch zu überbieten, beteuert er sogar: "Alles darin Beschrieben entspricht der Wahrheit." Stattdessen jedoch ergeht sich der geschäftstüchtige Autor im oberflächlichen Stil schlecht recherchierten Boulevard-Geschreibsels bis hin zu Tratsch über teils unbewiesene Frauengeschichten Kennedys.

Da beginnt dann ein Kapitel gar nach Art von "Frau im Spiegel" (ohne dieser Zeitschrift zu nahe treten zu wollen) mit Sätzen wie: "Jackie Kennedys nackte gebräunte Schultern betonen das Rosa ihres trägerlosen Kleides, eines Modells von Oleg Cassini." Was allerdings zu den Mutmaßungen über JFKs Gefühle für sie ebenso passt wie vereinzeltes pseudo-philosphisches Gefasel. Das wirklich Unverschämte an diesem Buch aber ist der Umgang mit dem Verlauf und dem Hergang des 22. November 1963, wo sich O'Reilly und sein Co-Autor ausschließlich auf den schon damals umstrittenen Warren-Report von 1964 über das Verbrechen und seine Hintergründe stützen.

Danach war der verklemmte Oswald, ein kommunistischer Ex-Marine, alleiniger Täter. Vor allem wird jeglicher Verdacht einer Verschwörung nicht einmal angedacht. Die Schreiber haben ganz offensichtlich nicht nur nicht recherchiert, sie blenden sogar aus, dass es inzwischen etliche hochkarätige offizielle Untersuchungen mit erheblich anderen Erkenntnissen gibt. Während längst als sicher gelten darf, dass Kennedy einer CIA/FBI-Verschwörung zum Opfer gefallen ist, haben O'Reilly und Dugard keinerlei "vernünftige Beweise" für irgendeine Verschwörung gefunden. Vielleicht schon deshalb kaum verwunderlich, weil neben dem Warren-Report ein Großteil der Primärquellen im knapp gehaltenen Anhang sich als Interviews und Reportagen von O'Reilly erweisen.

Dabei sorgt er selbst für solch krasse Widersprüche, dass auch der mit den historischen Fakten weniger vertraute Leser sich nur wundern kann. Da schreibt O'Reilly in den reißerisch aufgemachten Passagen über das Attentat vom tödlichen zweiten Treffer, der in Kennedys Hinterkopf eine Eintrittswunde mit einem Durchmesser von etwa 7 mm verursacht habe. Beim Austritt durch die Schädelvorderseite seien Gehirnmasse, Blut und Knochensplitter in das Gesicht der neben im sitzenden Jackie und bis an die Sonnenblenden an der Windschutzscheibe gespritzt.

Drei Seiten weiter aber schildert er, wie Jackie auf den Kofferraum kletterte, um die Schädel- und Gehirnteile einzusammeln, die über das Metall verspritzt waren. Agent Hill bewahrte Jackie vom Abrutschen vom Wagen und - auch er hatte Spritzer abbekommen. Wie aber konnte bei einem Schuss von hinten - also von Oswald aus dem fünften Stock des Schulbuchlagers am Dealey Place abgegeben - etwas aus dem 7 mm-Loch nach hinten spritzen?!

Doch auch die Ausführungen über Oswalds Schießkünste unterlegen weit mehr die längst stark untermauerte These von einem zweiten Schützen von vorn. Der hasserfüllte Oswald hatte einige Zeit zuvor versucht, einen Ex-General zu erschießen, während der hinterm Fenster am Schreibtisch arbeitete. Der Schütze verfehlte das ruhig sitzende Ziel, soll aber den fahrenden Kennedy auf erhebliche Entfernung mit zwei von drei sehr schnell aufeinander folgenden Schüssen aus einem Karabiner tödlich getroffen haben?

Und O'Reilly wundert sich nicht einmal, wieso der Präsidentenmörder sich dessen im Gegensatz zu anderen Fällen der Geschichte nicht etwa rühmt, sondern sich sogar vor Zeugen als zum Sündebock gemacht bezeichnet. Doch schließlich ist auch Oswalds Mörder, der Nachtclub-Besitzer Jack Ruby, nur ein aufgebrachter Einzelgänger. Seine direkten Verbindungen zum organisierten Verbrechen ignorieren die Autoren. Auf Deutsch nennt man einen derartigen Umgang mit Daten und Fakten Geschichtsklitterung und die erstreckt sich in diesem Werk auch auf politische Vorgänge wie die Kuba-Krise.

Bleibt als letzter Aspekt, der gegen dieses Buch spricht, dass die Schreiber nicht nur viele wichtige und oft abweichende Fakten ignorieren - es wird auch nichts geboten, das nicht schon hinlänglich bekannt wäre. Fazit: wer sich mit diesem Thema befassen will, findet wahrlich genug andere Bücher, die objektiver und gründlicher mit den Ereignissen von damals umgehen. Wem allerdings der Sinn nach entsprechend oberflächlicher und reißerischer Pseudo-Geschichtsschreibung steht, darf sich auf das nächste "Killing"-Buch dieser Autoren freuen - es befasst sich mit einem gewissen Jesus...

# Bill O'Reilly (mit Martin Dugard): Killing Kennedy. Das Ende des amerikanischen Traums (aus dem Amerikanischen von Bernhard Jendricke und Maria Zybak); 400 Seiten, div. Abb.; Droemer Verlag, München; € 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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