ANDREA SAWATZKI: "EIN ALLZU BRAVES MÄDCHEN"

So abgründig, wie sie in so mancher Fernsehrolle beeindruckt, so ist auch Andrea Sawatzkis erster Roman geraten. "Ein allzu braves Mädchen" lautet der Titel und im Mittelpunkt steht eine junge Frau, die in einem aufreizenden Paillettenkleid verwirrt und verschmutzt im Wald gefunden wird.

Sie weiß nichts über ihre Identität und warum sie hier ist, weshalb die Polizei sie in die Psychiatrie bringt. Bald darauf wird in der Nähe der 71-jährige Wilfried Ott in seinem Haus aufgefunden, mit äußerster Brutalität umgebracht. Die junge Frau aber, von der schließlich herauskommt, dass sie Manuela Scriba heißt, öffnet sich erst ganz langsam in den geduldigen Befragungen durch die einfühlsame Psychiaterin.

Aus den oft stockenden, mal kargen, mal mit heftigen Szenen aufwartenden Aussagen und durch das allmähliche Vordringen der Therapeutin entwickelt sich ein beklemmendes psychologisches Kammerspiel um eine traumatisierte Frau, die unter einer schwerer Vaterschädigung leidet. Erst als sie acht Jahre alt war, zog sie mit ihrer Mutter in das Haus des bereits betagten Vaters. Und brav, wie sie erzogen wurde, musste sie den an Demenz erkrankten Mann hüten, weil die eher indifferente Mutter als Krankenschwester arbeiten ging.

Offenbar unbemerkt von ihr, wird dies zu einer überschweren Last für die Kleine, denn der Vater quält sie in vielerlei Hinsicht und zu den folgenreichsten Auswüchsen gehört, dass er das Schulkind ständig um die Nachtruhe bringt und es obendrein auf abstruse Weise misshandelt. Was Wunder, dass Manuela als ehemals stets fügsames Mädchen in der Prostitution landet. Und man ahnt Zusammenhänge mit dem erschlagenen Wilfried Ott.

Doch es sind weniger die sich nur in den von der Therapeutin herausgelockten Erinnerungen eröffnenden Handlungen, die hier fesseln. Es sind diese verstörenden Einblicke in ein zwischen Demut und explosivem Hass schwankendes Seelenleben, die Andrea Sawatzki geradezu magisch entfaltet. Zugleich sieht man sie selbst in dieser Rolle und das in der Beschreibung der Schauspielerin so ähnliche Erscheinungsbild lässt sogar ein wenig auf autobiografische Bezüge darin schließen.

Je weiter der Roman fortschreitet, desto mehr muss man sich fragen, ob diese Manuela nur Opfer oder auch Täterin ist und das nicht nur bei ihrem letzten Freier: "Wenn es mich packt, bin ich nicht mehr ich selbst." Alles ist von hoher atmosphärischer Dichte und hervorragend geschrieben. Fazit: ein kleines aber feines Lesevergnügen, in seiner passagenweisen Deftigkeit aber nichts für Feingeister.

 

# Andrea Sawatzki: Ein allzu braves Mädchen; 173 Seiten; Piper Verlag, München; € 16,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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