HELEN FITZGERALD: "DIE DUNKLE TREPPE"

Bronny ist 18 und lebt in einem verständlichen Dauerangstzustand: ihre Mutter ist an der Chorea-Huntington-Krankheit gestorben und die Wahrscheinlichkeit, diese unheilbare Krankheit geerbt zu haben, liegt bei 50 Prozent. Als die attraktive Australierin nun mit Vater und älterer Schwester am Krankenhaus auf das Untersuchungsergebnis ihrer Gene wartet, wird ihr plötzlich klar - Nichtwissen ist ihr lieber.

Spontan eilt sie zum nächsten Flugplatz und kauft für ihre kargen Ersparnisse ein Ticket nach London. Damit beginnt Helen FitzGeralds neuer Thriller "Die dunkle Treppe" und so eher von der privaten Misere durchdrungen geht es zunächst auch weiter. Das ist zwar sehr lebendig und lebensnah erzählt, was die so naive und noch gänzlich ungeküsste junge Frau da quasi ohne Geld aber mit vielen neuen Bekanntschaften erlebt, von Hochspannung aber ist noch nichts zu spüren.

Mit einer bunten Gruppe, die nichts weiter will als Spaß haben, dringt sie in ein leer stehendes Haus ein und man richtet sich als Hausbesetzer ein. Es wird gefeiert und Sex und so mancher Joint sind an der Tagesordnung, wobei Bronny allerdings trotz "Unterrichts" durch eine flippige Mitbewohnerin einfach nicht der erotische Durchbruch gelingen will. Und weil sie sich so oft zudröhnt, kann sie zunächst auch nicht recht einordnen, was sie da in ihrem Zimmer im Erdgeschoss zuweilen an seltsamen Geräuschen zu hören meint.

Auf Seite 87 aber kippt das Geschilderte plötzlich in eine völlig andere, alptraumhafte Dimension, denn nun steht Ceila im Mittelpunkt und es sind mehr als klaustrophobische Szenen, die sie in ihrem Kellerverlies - direkt unter Bronnys Zimmer! - durchleidet. Hier kämpft die 38-jährige Gefangene eines maskierten Perverslings mit buchstäblich letztem Körpereinsatz ums nackte Überleben.

Helen FitzGerald ist bekannt dafür, dass sie an Grenzen geht, hier jedoch wird es teils verstörend und auch ekelerregend und nur die Souveränität der Autorin hält das Geschriebene dennoch auf packendem literarischem Niveau. Der Blick in das Denken des Täters lässt schaudern und selbst, als Celia entdeckt wird und gerettet scheint, ist die Achterbahn der Überraschungen noch längst nicht zu Ende und der Verbrecher verdammt nah und gegenwärtig.

Fazit: reinlesen in den vermeintlich ziemlich harmlosen Teenager-Roman lohnt unbedingt, ist zartbesaiteten Lesern aber dringend abzuraten. Die Charaktere und die zunehmend bedrohliche bis beklemmende Atmosphäre schaffen ein großes Thrillervergnügen, nur auf den sonst üblichen grantigen schwarzen Humor dieser australischen Spitzenautorin mit Wohnsitz in Schottland muss man diesmal weitgehend verzichten.

 

# Helen FitzGerald: Die dunkle Treppe (aus dem Englischen von Steffen Jacobs); 238 Seiten, Klappenbroschur; Galiani Verlag, Berlin;

€ 16,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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