JULIAN BARNES: "UNBEFUGTES BETRETEN"

Julian Barnes ist einer der geschliffensten und elegantesten Ironiker und das beweist der britische Man-Booker-Preisträger einmal mehr mit seinem Erzählungenband "Unbefugtes Betreten". In 14 Geschichten widmet er sich dem Thema der zwischenmenschlichen Beziehungen.

Im ersten Teil spielen neun der Erzählungen im Großbritannien der Gegenwart. Gleich viermal treffen sich gesetzte Vertreter der Mittelklasse "Bei Phil und Joanna" zu oberflächlichen Dinnerparties, die dann zwischen den Zeilen der hinreißenden Dialoge bei all dem Geplänkel mehr entlarven, als äußerten die anonymen Personen sich konkret über ihre Emotionen oder Gedanken.

Die Unfähigkeit zu echten Gefühlen wird aber auch bei anderen Akteuren mit leichter Hand aufgedeckt. Das offenbart schon solch ein grandioser Eröffnungssatz wie "Im achten Jahr ihrer Beziehung hatten sie den Punkt erreicht, wo sie einander nützliche Geschenke machten, die ihr gemeinsames Lebensprojekt untermauern sollten, statt ihre Gefühle auszudrücken." In einer anderen Erzählung vergeigt ein soeben wieder allein lebender Geoff eine viel versprechend beginnende Affäre mit einer Bankangestellten, die ähnlich gern wandert wie er. Um die Dame alsbald mit unsensibler Pedanterie genau dabei wieder zu vergraulen.

Voller Lakonie schildert Barnes aber auch in den fünf Erzählungen des zweiten Teils, wie die fünf Sinne oder deren Fehlen Beziehung und Nähe beeinflussen. Hier holt der Autor noch einmal groß aus und schafft mit dem abschließenden "Pulse" - das im Original auch die titelgebende Erzählung ist - ein großartiges kleines Juwel für sich. Mit dezentem Sarkasmus und viel Sensibilität umreißt er hier die Geschichte eines Mannes, der die Ehe seiner Eltern für perfekt hält.

Es scheint eine mittelständische aber auch sehr spießbürgerliche Familie zu sein, wo Harmonie offenbar die gesetzte Regel war: "In unserer Familie wird nicht gestritten. Wir wollen das nicht und wir wissen auch gar nicht, wie es geht." Nun leidet der Vater daran, dass er plötzlich seinen Geruchssinn verloren hat und in der Folge - seine Frau nicht mehr riechen kann. Während er stoisch rührende Heilungsversuche unternimmt, gerät der Sohn an die fordernde Janice, die die Harmonie seiner Eltern für vorgespielt hält und ihn selbst sogar als psychopathisch bezeichnet.

Gerade diese letzte Geschichte, die ebenso traurig wie überraschend endet, lässt der Skeptiker Barnes so positiv ausklingen, dass man danach auch einen Hauch von Hoffnung empfindet, dass zwischenmenschliche Beziehungen im ein oder anderen Fall doch gelingen. Fazit: ein großartiges Stück Literatur, dessen eleganter Stil auch dank der hervorragenden Übersetzung ein Genuss ist.

 

# Julian Barnes: Unbefugtes Betreten (aus dem Englischen von homas Bodmer und Gertraude Krüger); 293 Seiten; Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln; € 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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