PETER MERSEBURGER: "THEODOR HEUSS"

Dass Theodor Heuss (1884-1963) der erste Bundespräsident der 1949 gerade gegründeten Bundesrepublik Deutschland war, wissen die meisten und sie kennen auch den seinerzeit liebevoll gemeinten Spitznamen "Papa Heuss" (den er selbst gar nicht schätzte). Doch wer war dieser Theodor Heuss aus dem Schwäbischen wirklich?

Es verwundert, wie wenig bekannt der einst so beliebte Staatsmann geblieben ist. Und es erstaunt, dass mit "Theodor Heuss. Der Bürger als Präsident" von dem einschlägig renommierten Spitzenjournalisten Peter Merseburger erst jetzt eine große und umfassende Biographie vorliegt. Mit spürbarer Begeisterung und immensem Recherchefleiß zeichnet er ein konturenstarkes Bild eines Mannes, der alles andere als unpolitisch war, auch wenn er in seiner Rolle als Staatsoberhaupt allgemein so wahrgenommen wurde.

Im Kaiserreich ausgebildet, wurde der aus gut kleinbürgerlichen Verhältnissen stammende Heuss nach dem Studium von Nationalökonomie und Kunstgeschichte Journalist. Als militäruntauglich anerkannt, überstand er den Ersten Weltkrieg als Chefredakteur der "Neckar-Zeitung" in Heilbronn. Aufgewachsen als Bildungsbürger und lebenslanger "Bücherfresser", erhielt er schon von Jugend an eine intensive liberale Prägung, denn nach dem frühen Tod des Vaters wird das liberale Urgestein Friedrich Naumann eine Art Ersatzvater für Heuss.

Ihm folgt er auch nach Berlin, um in die Politik zu gehen. Er ist Gründungsmitglied der Deutschen Demokratischen Partei (später Deutsche Staatspartei) und wird 1924 Reichstagsabgeordneter. Hier kommt es 1933 zum "Sündenfall", den er sich nie verzeiht: er, der Gegner Hitlers, der sogar zwei kritische Bücher gegen die Nationalsozialisten verfasst hatte, stimmt aus Fraktionszwang mit für genau jenes Ermächtigungsgesetz, mit dem Hitler die totale Macht im Reich an sich reißen konnte.

Merseburger untersucht gerade dieses Lebensereignis sehr genau und findet zu einem milden Urteil. Ähnlich eingehend schildert er aber auch den privaten Heuss, der als Verstandesmensch auch im Zwischenmenschlichen ein liberaler Charakter war. Da gibt es spannende Passagen über die erstaunlich moderne Ehe mit der gleichfalls hoch gebildeten Elly Heuss-Knapp. Dass der überzeugte Demokrat und Querdenker dann zu Nazi-Zeiten wegen seiner kritischen Bücher ein Berufsverbot als Hochschullehrer erhielt, ist ebenso konsequent wie die "innere Emigration", in die er sich zurückzog und den Krieg im heimatlichen Heilbronn als Autor überdauerte.

Danach aber kam seine große Zeit, denn zunächst wurde er Herausgeber der "Rhein-Necker-Zeitung" in Heidelberg, dann Kultusminister in Stuttgart und erster Parteivorsitzender der neuen FDP. Vor allem aber wurde Heuss zu einem der Väter des Grundgesetzes und er selbst war es, der mit dafür sorgte, dass das Amt des Bundespräsidenten nur mit sehr begrenzter Macht ausgestattet wurde. Als er dann jedoch am 12. September 1949 zum ersten Amtsinhaber gewählt wurde, sollte er zum Glücksfall des jungen, noch in Trümmern liegenden Staates werden.

Er entwickelte sich zur moralischen Instanz eines verstörten Volkes und eine Art "Erzieher zur Demokratie". So schwach das Amt des deutschen Staatsoberhauptes auch nach den schlimmen Erfahrungen mit dem mächtigen Reichspräsident Hindeburg als Steigbügelhalter Hitlers bewusst gehalten worden ist - das schärfste Schwert des Bundespräsidenten ist die Rede und die nutzte Heuss so überzeugend, wie es seither nur noch Richard von Weizsäcker verstand.

Als bescheidener und zugleich selbstbewusster Mann trat der behäbige, humorvolle Intellektuelle mit der Fähigkeit zur Volksnähe auf, ohne sich anzubiedern oder vereinnahmen zu lassen. Pomp und Zeremonielles mochte er nicht, wie er ohnehin ein durch und durch ziviler Mensch war - man denke nur an sein berühmtes augenzwinkerndes Wort an Bundeswehrsoldaten im Manöver: "Nun siegt mal schön."

Merseburger kommt schließlich zu der logischen historischen Bewertung, dass "Papa Heuss" in seiner Amtszeit von 1949 bis 1959 eine zwar anders gelagerte aber ähnlich wichtige prägende Rolle für die innere und äußere Entwicklung der jungen Bundesrepublik spielte wie Bundeskanzler Konrad Adenauer. Fazit: eine exzellente Biographie über einen zu Unrecht fast unbekannten großen Deutschen und zugleich ein aufschlussreicher Streifzug durch die deutsche Geschichte von der Kaiserzeit bis zur erblühten Demokratie der Nachkriegszeit.

 

# Peter Mersebürger: Theodor Heuss. Der Bürger als Präsident. Biographie; 672 Seiten, div. Abb.; Deutsche Verlags-Anstalt, München;

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WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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