AMITAV GHOSH: "DER RAUCHBLAUE FLUSS"

In seinem großen Epos "Das mohnrote Meer" hatte der indisch-stämmige Erfolgsautor Amitav Ghosh über den Opiumhandel geschrieben, für den die britischen Kolonialherren über die alles beherrschende Ostindien-Kompanie den gesamten indischen Subkontinent quasi versklavt hatte. Der Roman endete seinerzeit in einem gewaltigen Sturm mit dem Dreimastschoner "Ibis", auf dem Seeleute, Sträflinge und Arbeiter um ihr Leben bangten.

Das war für Ghosh zugleich der Auftakt für seine "Ibis"-Trilogie und deren zweiter Band "Der rauchblaue Fluss" führt nun zunächst in dasselbe Unwetter. In dem werden auch der elegant ausgestattete Frachtsegler "Anahita" sowie die englische "Redruth" des Botanikforschers Fitcher Penrose an den Rand des Untergangs gebracht. Spielt der Roman erst noch auf der Insel Mauritius, geht es jedoch bald zum eigentlichen Schauplatz, dem chinesischen Kanton.

Man schreibt das Jahr 1838 und die "Anahita" ist voll beladen mit einer ungeheuer wertvollen Ladung des in Bengalen produzierten Opiums. Damit will Bahram Modi, indischer Kaufmann mit persischen Vorfahren, endgültig so wohlhabend werden,.dass er von seinen reichen Schwiegereltern unabhängig wird. Modi, der wie die anderen Opiumhändler einige Kilometer vor der Stadt ankert, aber im Hafen mit seiner heimlichen Geliebten Chi Mei auch noch den Sohn Ah Fatt hat, schert sich wenig um die Bestrebungen des chinesischen Kaisers Daoguang, der aus Sorge wegen der millionenfach in seinem Reich grassierenden Opiumsucht die Einfuhr des Rauschgifts unterbinden will.

Noch immer lassen sich die Zöllner und Beamten bestechen, doch der neue Statthalter Lin Zexu (eine historische Figur!) greift mit zunehmender Strenge durch, so dass am Ende dieses bewegenden Romans der Vorabend des 1839 ausbrechenden 1. Opiumkrieges steht. Bis dahin aber ist das Geschehen nicht nur von einer hinreißenden Vielfalt, Ghosh präsentiert auch eine faszinierende Parade von Figuren mit teils abenteuerlichen Biographien.

So ist hier unter anderem der britische Maler Robin Chinnery auf der Suche nach der sagenumwobenen Golden Kamelie. Er legt durch seinen Briefwechsel mit der verwaisten jungen Französin Paulette (wie einige anderen Charaktere bereits aus Band I bekannt) eine Art kalendarische Klammer um die Ereignisse. Ähnlich wichtig wird Nil, der Sekretär und Dolmetscher Bahram Modis, wie ohnehin das allgegenwärtige geradezu babylonische Sprachgewirr kennzeichnend für die unübersichtliche Gemengelage ist, wo die Händler sich auf das vereinfachende Pidgin-English einigen müssen für die Verständigung in dieser Frühform von Globalisierung.

Mit seiner sprachgewaltigen Fabulierkunst bezaubert Ghosh bei diesem in epischer Breite erzählten und dennoch immer wieder auch rasant werdenden Roman mit einer einzigartigen Melange aus spannendem Historienroman, dramatischen Passagen und Szenen bis zum Slapstick. Selbst die Beschreibungen all der exotischen kulinarischen Genüsse geben dem Ganzen eine zusätzliche Würze. Zugleich wird das Alles in einem im besten Sinne altmodischen Stil erzählt und das mit einer solchen atmosphärischen Dichte, als geschähe alles gerade eben.

Die besondere Größe dieses Werkes liegt gleichwohl im Blickwinkel des Autors, denn hier schreibt jemand nicht nur mit grandiosem Zeit- und Lokalkolorit, er schreibt auch aus der Sicht jener, die einst die Ausgebeuteten waren. Da darf der Leser staunen, in welchem Maß die Finanzkraft der Kolonialmacht sich auf die menschenverachtende Ausbeutung Indiens und Chinas stützte. Fazit: ein großes Stück Literatur, auf dessen teils behäbigen Erzählfluss man sich getrost einlassen sollte - die Sogwirkung stellt sich alsbald ein und führt zu einem unvergesslichen Lesegenuss.

 

# Amitav Ghosh: Der rauchblaue Fluss (aus dem Englischen von Barbara Heller und Rudolf Hermstein); 720 Seiten; Karl Blessing Verlag, München; € 24,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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