VIRGINIA IRONSIDE: "NEIN! ICH MÖCHTE KEINE KAFFEEFAHRT!"

Marie Sharp ist wieder da! Unverkennbar das Alter ego der englischen Erfolgsautorin Virgina Ironside und die hat das neue Buch mit 65 Jahren geschrieben. Nachdem sie nach Erreichen der 60 bereits mit einer herzhaften Mischung aus Offenheit und Sarkasmus klar gemacht hatte, dass sie trotzdem nicht zum alten Eisen gehört und auch keinen Wert auf einen Seniorenteller oder dergleichen zweifelhaften Altersvorzüge legt, schreibt sie jetzt nach Erreichen der Rentengrenze, wie man auch in diesem Lebensstadium noch gut drauf sein kann.

"Nein! Ich möchte keine Kaffeefahrt!" heißt diesmal der Titel und konsequenterweise kommt es dazu auch wirklich nicht. Maries Tagebuch setzt Neujahrstag ein, als sie völlig verkatert erwacht. Und das verstärkt den Drang nach guten Vorsätzen, um noch einmal kräftig etwas zu ändern auf die etwas älteren Tage. Kein Alkohol mehr, etwas Sport und ein Facelifting. Das aber weniger, um wieder jung auszusehen - dazu ist die pensionierte Kunstlehrerin viel zu realistisch - vielmehr will sie weniger trübsinnig ausschauen.

Marie wehrt sich gegen die Larmoyanz der Senioren, die immer nur über Gebresten wie schlechteres Hören und Sehen, über nachlassende Mobilität und knirschende Gelenke jammern. Sie hebt romanhaft hervor, welche Vorzüge das Alter trotz mancher unangenehmer Einschränkungen auch hat. Nicht zu vergessen, dass man viel mehr Vergangenheit und weniger Zukunft vor sich hat. Die Entscheidungsmöglichkeiten werden weniger, gleichwohl mag man keine Zeit mehr damit verschwenden, Dinge zu tun, die man in Wirklichkeit nicht tun will.

Mit subversiver Offenheit nennt die Ich-Erzählerin die Dinge beim Namen und wenn dann mal Selbstmitleid aufkommt, bügelt sie es schnell und gekonnt mit einer kräftigen Prise Sarkasmus glatt. Doch sie blendet die Härten des Lebens gerade im Alter dabei nicht aus und sie wird schmerzlich damit konfrontiert, als Archie zunehmend der Alzheimer-Krankheit anheim fällt. Er war ihre Jugendliebe, mit der sie vor ein paar Jahren und lange nach ihrer Scheidung und dem Tod seiner Frau wieder zusammengekommen war.

Auch Sex erklärt Marie zu den noch immer selbstverständlichen Interessen, auch wenn man ihn nicht mehr so oft braucht. Sie jedenfalls liebt die Gesellschaft von Männern und auch das Flirten. Und mit Archie genoss sie oft genug einfach das Kuscheln, obgleich sie als längst eingefleischter Single nicht mit ihm zusammengezogen war. Nun aber müssen sie und ihre Freunde ihn in ein Heim bringen: "Als wir losfuhren, kamen wir uns wie Mörder vor." Und Marie beschreibt immer wieder die bedrückenden Begegnungen mit dem verfallenden Archie. Das sind jeweils einfühlsam geschilderte bewegende Momente in diesem ohnehin sehr realitätsnahen Buch.

Doch ihr passiert auch, was vielen im Alter ebenfalls widerfahrt: Sohn Jack zieht aus beruflichen Gründen mit Frau und Sohn in die USA und vor allem an Enkel Gene hängt die Großmutter mit inniger Liebe. Weshalb sie nicht lange wartet, um ihn zu besuchen. Vom Facelifting auch vom Selbstbewusstsein her mit neuer Strahlkraft versehen, erlebt sie auf dem Flug den prickelnden Flirt mit einem deutlich jüngeren attraktiven Mann.

Das weckt Schmetterlinge im Bauch, auch wenn es dann nicht zu einem Höhenflug kommt. Dennoch bleibt Marie eine lebensbejahende Frau, die einen ziemlich entspannten Umgang mit dem Älterwerden pflegt. Diese Marie gewinnt dem Unvermeidlichen erstaunlich gute Seiten ab, bleibt dabei aber so lebensnah und humorvoll, dass sie einem sofort an Herz wächst.

Fazit: vielleicht hat nicht alles Allgemeingültigkeit, aber ein ebenso warmherziger wie hilfreicher Lesespaß ist dieser Lebenshilfe-Roman auf jeden Fall. Und das nicht nur für Menschen, die wie Marie Kaffeefahrten oder Seniorenteller aus ähnlichen Gründen ablehnen.

 

# Virginia Ironside: Nein! Ich möchte keine Kaffeefahrt! (aus dem Englischen von Sibylle Schmidt), 320 Seiten; Goldmann Verlag, München; € 17,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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