VOLKER KUTSCHER: "DIE AKTE VATERLAND"

Mitten hinein ins quirlige Berlin der frühen 30er Jahre, als die Nazis - noch - nicht die alles beherrschende Kraft sind, führt Volker Kutscher mit seinem neuen Krimi "Die Akte Vaterland". Nach den Vorläufern "Der nasse Fisch", "Der stumme Tod" und "Goldstein" spielt das Geschehen um den raubeinigen Kommissar Gereon Rath jetzt im Jahr 1932.

Die heimliche Krönung der Geschichte ist dabei der historisch echte sogenannte "Preußenschlag", als Reichskanzler von Papen am 20. Juli die preußische Regierung absetzte und die gesamte Berliner Polizeiführung durch Reichswehrsoldaten verhaften ließ. Mögen die meisten Untergebenen das auch völlig missbilligen - es gibt kein Aufbegehren gegen diesen für die spätere Machtergreifung der Nazis so entscheidenden Schlag gegen die Demokratie.

Im Prolog des Romans allerdings erleben wir zunächst Tokala (indianisch für Fuchs), einen Einsiedler in den masurischen Wäldern, der 1920 Zeuge eines Lustmordes wird. Doch just dieser Täter hält 1932 die Kriminalpolizei als Serienmörder in Atem. Und mit einem ungewöhnlichen Mordfall setzt die eigentliche Handlung des Romanes ein, denn da wird ein Toter im Lastenaufzug des legendären Amüsiertempels "Haus Vaterland" am Potsdamer Platz gefunden. Die Obduktion ergibt zur allseitigen Verblüffung - der Spirituosenhändler ist ertrunken.

Kommissar Rath geht nur widerwillig an die Ermittlungen, denn er ist abgelenkt, weil seine Freundin Charlotte von ihrem Studienjahr in Paris zurückkehrt. Die Liebesgeschichte mit der angehenden Kommissarsanwärterin muss er jedoch nicht nur vor den Kollegen geheimhalten, sie läuft auch ansonsten eher holprig. Und dann fängt die junge Frau auch noch in der Mordkommission an und wird auch gleich "undercover" in das "Haus Vaterland" eingeschleust.

Bald schlägt der Mörder erneut zu und Rath findet heraus, dass es ähnliche Taten auch in anderen Städten des Reichs gegeben hat. Ihn aber entsendet man wegen entsprechender Spuren ins ostpreußische Masuren, wo der Großstädter in eine gänzlich fremde Welt stolpert. Da sind die Menschen nicht nur ohnehin wortkarg und abweisend, hier im durchmischten Grenzgebiet zu Polen brodelt der Nationalsozialismus bereits offen und heftig. Einziger Vorteil für Rath bei diesem unerfreulichen Außeneinsatz ist lediglich, dass er beim "Preußenschlag" in der Hauptstadt fernab weilt.

Während die Lösung des Falles näher rückt, spürt man allenthalben den politischen Wandel, wo die Nazis sich immer offener als die kommenden Machthaber aufführen. Und genau diese mit exzellentem Zeit-. und Lokalkolorit samt berlinerischen Einsprengseln gestaltete Kulisse für einen Großstadtkrimi von hoher Authentizität macht eine der großen Qualitäten dieses Krimis aus. Volker Kutscher schafft es zudem mit seiner raffinierten Dramaturgie trotz der eher langsamen Erzählweise eine hohe Sogwirkung zu erzeugen.

Besonders schön an diesem hochklassigen Berlin-Krimi aber ist, dass die Reihe bis in das Olympia-Jahr 1936 weitergehen soll. Dem diesmal angedeuteten Untergang der Weimarer Republik wird also demnächst ein weiterer Band um das kettenrauchende Raubein Rath folgen und da dürfte es unter allseits flatternden Hakenkreuz-Flaggen kaum angenehmer werden für ihn als nicht gerade pflegeleichten Kriminalbeamten.

 

# Volker Kuthscher: Die Akte Vaterland; 564 Seiten; Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln; € 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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