NAIFEH/SMITH: "VAN GOGH - SEIN LEBEN"

Vincent van Gogh (153-1890) ist der verkannte Künstler schlechthin. Kaum eines seiner weit über 800 Gemälde wurde zu seinen Lebzeiten verkauft, während seine Werke in den letzten Jahrzehnten Rekordpreise erzielten. Mythen und Rätsel umgeben sein exzentrisches Leben, nun haben sich zwei Kunsthistoriker in zehnjähriger intensiver Arbeit an eine umfassende Biographie gemacht, die manche Konturen schärft.

"Van Gogh - Sein Leben" wurde von Steven Naifeh und Gregory White Smith verfasst, die einst den Pulitzer-Preis für ihre Lebensgeschichte des Maler-Genies Jackson Pollock erhielten. Bei van Gogh konnten sie vor allem bisher ungesichtetes Material einbringen, insbesondere aus der umfangreichen Familienkorrespondenz. Aber auch der Maler selbst war ein fleißiger Briefeschreiber auf beachtlichem Niveau. Die Arbeiten zu dem Werk erfolgten in Kooperation mit dem Van-Gogh-Museum Amsterdam, dessen Kurator Leo Jansen immerhin befand, dies sei "die definitive Biographie für Jahrzehnte."

Beim Erscheinen der englischen Originalausgabe galten außerdem die in einem Anhang aufgestellten Untersuchungen des mysteriösen Todes des Malers als Sensation. Mit durchaus stichhaltigen Beweisführungen und aufbauend auf späteren Zeugenaussagen schlossen sie, dass van Gogh sich den Bauchschuss, an dem er Tage später verstarb, nicht selbst in jenem Kornfeld beigebracht habe, in dem er an diesem 27. Juli 1890 malte. Unklar sei, ob es ein Unfall oder gar Mord war, zudem sei die fragliche Pistole nie gefunden worden. Die Thesen der beiden Autoren werden allerdings von der Fachwelt weitgehend angezweifelt.

Kein Leser sollte sich jedoch von diesem einen Kapitel in dem monumentalen Werk über dessen Qualitäten beirren lassen, denn alle übrigen Darlegungen und Untersuchungen zeigen eine exzellente Kennerschaft und beruhen durchweg auf seriösem, unumstrittenem Material. Hier werden zunächst Kindheit und Jugend als ältestes von mehreren Pfarrerskindern geschildert, um van Goghs schwierigen Charakter von klein auf zu kennzeichnen. Schon hier zeigt sich aber nicht nur sein Talent sondern auch das Leiden unter mangelnder Anerkennung, für das maßgeblich die kalte, hartherzige Mutter verantwortlich ist.

Mit viel psychologischem Feingefühl und auf Grundlage neuester Forschungsergebnisse zeichnen die Autoren den holprigen Werdegang des Künstlers nach, der von sich überzeugt war und umso mehr an der Erfolglosigkeit und der Nichtbeachtung litt. Beleuchtet wird vor allem auch das so ungeheuer wichtige Verhältnis zum jüngeren Bruder Theo, der ihn ständig wirtschaftlich unterstützen musste, aber auch Vincents unstete Lebensformen mit seiner Besessenheit vom Umgang mit Prostituierten und anderen Exzessen kritisierte.

Ähnlich fesselnd wie diese zwischenmenschlichen Probleme von großer Tragweite für den höchst emotionalen Künstler sind auch die Begegnungen mit anderen Malern, insbesondere die ebenso intensive wie verstörende mit Gaugin. Und schließlich van Goghs Krankengeschichte, bei der das Schwanken zwischen Depressionen und Wahnzuständen mit regelrechten Explosionen der Arbeitswut dann medizinisch als Epilepsie ohne Krampfanfälle gedeutet wurde, was vermutlich mitverantwortlich für die wiederholten Zusammenbrüche war. Immerhin widerlegen die Biographen hier die Mär von der zeitweiligen Zwangseinweisung, stattdessen besaß er selbst die Souveränität, sich zeitweilig in Behandlung zu begeben.

In geradezu romanhafter und zugleich sachlich fundierte Weise wird van Goghs Leben voller Niederlagen und Katastrophen geschildert, stets nach Anerkennung ringend, die erst posthum einsetzte. Und doch in der Ahnung, ein Genie zu sein. Da mutet es als ein verzweifeltes Signal an, wie spektakulär häufig sich der manisch-depressive Künstler selbst porträtierte. Die vielen Bildbeispiele belegen es und krönen diese einzigartige Biographie, die nicht nur ausgemachten Kunstfreunden einen wahren Lesegenuss bietet.

 

# Steven Naifeh/Gregory White Smith: Van Gogh - Sein Leben (aus dem Amerikanischen von Bernhard Jendricke, Christa Prummer-Lehmair, Sonja Schumacher und Rita Seuß); 1213 Seiten, div. Abb.; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 34

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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