JOHN KATZENBACH: "DER WOLF"

John Katzenbach ist ein Meister des psychologischen Krimis und bei seinem jüngsten Geniestreich braucht er kaum Blutvergießen, um ein zunächst subtiles, dann aber immer unerträglicheres Grauen spürbar zu machen. Es ist ein perverses Spiel mit der Todesangst, doch auch mit der finsteren Absicht des letalen Abschlusses.

"Der Wolf" lautet der Titel und das Märchen vom Rotkäppchen will der Verbrecher in neue Dimensionen setzen. Ohnehin stellt der alternde Schriftsteller klar, dass die brave Kindergeschichte eine geschönte Version sei, in der wahren aber habe selbstverständlich der Wolf gesiegt. Also auch das Rotkäppchen aufgefressen. Was ihn umtreibt, sind Alter und Erfolglosigkeit. Seit Jahren hat er nichts Druckreifes mehr geschrieben und keinen unschuldigen Menschen mehr getötet - es gab sie ja, die Morde, für die er nie verdächtigt wurde.

Er hasste es, mit seinen 64 Jahren "in Vergessen zu geraten", folglich entwickelt er einen ebenso perfiden wie perfekten Plan für ein spektakuläres Wolfsmärchen, das ihm unsterblichen Ruhm einbringen wird. Und er begnügt sich nicht mit einem Rotkäppchen: gleich drei nimmt er ins Visier. "Rot 1, Rot 2 und Rot 3" nennt er sie, drei Frauen zwischen 17 und 51 Jahren. Karen, Sarah und Jordan sind zwar intelligent und gebildet und wohnen recht nah beieinander, die einzige große Gemeinsamkeit aber ist nur ihr rotes Haar.

Die Ärztin, die Lehrerin und die Schülerin kennen einander nicht, doch jede von ihnen hat ihre persönlichen privaten Probleme, auf die nun der erste Brief des Wolfs trifft. Darin kündigt er ihnen gleichlautend in schlichten Worten an: "Wie das kleine Mädchen im Märchen seit ihr auserwählt zu sterben." Die Verunsicherung, die sich zunehmend zur Panik steigert, schürt der erfahrene Serienmörder, indem er immer engere unsichtbare Kreise um seine Opfer zieht, bei denen er in ihre Privatsphäre eindringt.

Er gibt ihnen Beweise für das Vorhandensein der Bedrohung und er kalkuliert sein Treiben ähnlich dem des Raubtiers, das seine Beute schließlich in Angststarre für den tödlichen Biss versetzt. In seinem pathologischen Tun ist er von gnadenloser pedantischer Zielgerichtetheit und absolut überzeugt von seiner Planung und den psychologisch konsequenten Reaktionen der Auserwählten gegenüber den raffinierten Manipulationen.

Geradezu abstrus und zuweilen gar komisch steht das private Gebaren des Mörders im Gegensatz zu seinem abartigen Tun, denn dort mit seiner biederen Ehefrau führt er ein ganz und gar alltägliches Familienleben. Was der Wolf sich bei aller Perfektion seiner Planungen allerdings nicht vorstellen kann, weil es in sein kaltes, gefühlloses Denken einfach nicht passt, ist das, was nun jedoch seine Berechnungen durcheinander zu bringen droht. Wussten die Frauen anfangs nur, dass es noch zwei Mitbetroffene in diesem Albtraum gab, finden sie nun zusammen und die Not gebiert ungeahnte Verhaltensmuster von Widerstandswillen und Zusammenhalt.

Mehr aber sei vom Fortgang dieses ohne reißerische Action bis zuletzt fesselnden Psycho-Krimis nicht verraten. Zur spannungstreibenden Dramaturgie führt dabei der Wechsel der Erzählperspektiven zwischen den Protagonisten, aber auch ansonsten sorgen immer neue Wendungen für manche Überraschung. Fazit: ein eher ruhiger Krimi, der gleichwohl mit wachsendem Grauen für viel Gänsehaut-Gefühl beim Lesevergnügen sorgt.

 

# John Katzenbach: Der Wolf (aus dem Amerikanischen von Anke und Eberhard Kreutzer); 509 Seiten; Droemer Verlag, München; € 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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