DAVID MITCHELL: "DIE TAUSEND HERBSTE DES JACOB DE ZOET"

Jacob de Zoet verpflichtet sich als junger Buchhalter auf fünf Jahre zum Dienst für die Niederländische Ostindien Kompanie (VOC) in Japan. Damit will er genug Geld verdienen, um seine Verlobte Anna heiraten zu können. Doch man schreibt das Jahr 1799 und das "Land der tausend Herbste" - so ein Name für das ferne Reich - hat sich zu diesen Zeiten der Edo-Ära so weit abgeschottet, dass kein Fremder ins Land darf und auch die Holländer als einzige europäische Handelspartner nur eine Art Außenposten auf der künstlichen Insel Dejima in der Bucht von Nagasaki betreiben dürfen.

Was der junge Mann in dieser engen Enklave nun erlebt, die als einzige Japaner nur Dolmetscher und Konkubinen betreten dürfen, daraus hat der englische Erfolgsautor David Mitchell unter dem Titel "Die tausend Herbste des Jacob de Zoet" ein großes Epos vom Aufeinandertreffen zweier Welten geschaffen. Die Bedingungen, die Jacob vorfindet, sind wenig erfreulich, denn die Kompanie steht am Rande des Bankrotts und die von ihm alsbald aufgedeckten Betrügereien und Selbstbereicherungen verschlimmern die Lage noch.

Weil er beharrlich auf Korrekturen all der gefälschten Bücher drängt, macht er sich viele Feinde in dem sowieso schon gereizten Klima dieses engen Kosmos. Ohnehin führen sich die Holländer gierig und respektlos gegenüber den Japanern auf, die ihnen zu Recht misstrauen und ihr Reich durch ihre über 150 Jahre aufrecht erhaltene Isolationspolitik bekanntlich erfolgreich vor dem weltweit um sich greifenden Kolonialismus der europäischen Mächte zu bewahren vermochten.

In seiner persönlichen Isolation lauert aber noch ein ganz andere Gefahr für Jacob, denn als einziger Freund bleibt ihm nur noch der japanische Dolmetscher Uzaemon Ogawa. Und noch schlimmer - entgegen allen Treuebemühungen gegenüber der fernen Anna verliebt er sich rasend in die japanische Hebamme Orito Aibagawa, Tochter eines Samurais. Sie ist auf Dejima nur geduldet, weil sie von dem ebenso charismatischen wie zynischen Inselarzt Dr. Marinus medizinische Kenntnisse des Westens erlernen soll.

Doch diese herbe Liebesgeschichte mitten im ohnehin von abgefeimten Intrigen und kriminellen Machenschaften vergifteten Klima nimmt kein gutes Ende, zumal derartige Beziehungen von Westlern wie Japanern gleichermaßen strengsten abgelehnt werden. Orito aber ist plötzlich verschwunden und eine ungeheuerliche Geschichte tut sich auf, denn sie wurde nach dem Tod des Vaters wegen dessen Schulden an den mysteriösen Shiramui-Schrein des verbrecherischen Abtes Enomoto verkauft. Gerade sie als talentierte Geburtshelferin erlebt dort grauenhafte Rituale, allerdings kann sie schließlich auf recht spektakuläre Weise gerettet werden.

Jacobs Kampf gegen die verrotteten Zustände innerhalb der KOmpanie auf Dejima erweist sich entbehrungsreich und Erfolg hat er erst, als er selbst zum sogenannten Faktor aufsteigt. Andererseits droht dem Handelsposten schließlich auch noch Gefahr seitens der aufstrebenden Weltmacht England, die mit einem Fregatten-Angriff das Handelsmonopol der Holländer zu brechen droht (was tatsächlich stattgefunden hat, allerdings erst 1808 und nicht wie hier schon im Jahr 1800).

Von steter Spannung durchzogen ist dieser ebenso heikle wie unvermeidliche Austausch zwischen den Kaufleuten und den in starren Ritualen verhafteten, fremdenfeindlichen Japanern, der über Waren weit hinausgeht, denn es fließt auch so manches westliche Gedankengut durch diese Schleuse in die abgeschotteten Gesellschaft, allen voran durch die Dolmetscher.

Wie Mitchell diesen Zusammenprall der Kulturen samt dem intrigenreichen Treiben auf der Insel schildert, das ist ganz große Erzählkunst. Dabei gelingt ihm ein Epos voller Dramatik, das dennoch nie in Kirschblüten-Exotik verfällt. Ohne Gefühlsduselei spielt er virtuos auf der Klaviatur des allseitigen Missverstehens. Man muss sich zunächst ein wenig einlesen in diesen anspruchsvollen Roman, wird dann aber reich belohnt, denn bald schon stellt sich eine unentrinnbare Sogwirkung ein. Das ist nicht nur von einer dichten Atmosphäre geprägt, dank exzellenter Recherchen des im Übrigen mit einer Japanerin verheirateten Autors wirkt es durch sein großartiges Zeit- und Lokalkolorit vor realem historischen Hintergrund höchst authentisch. Fazit: ein grandioses Stück Historien-Literatur, das zudem alles Zeug für eine Verfilmung im Stile von "Dr. Shiwago" oder ähnlichen Monumentalfilmen mitbringt.

 

# David Mitchell: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet (aus dem Englischen von Volker Oldenburg); 715 Seiten; Rowohlt Verlag, Reinbek; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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