CARMEN STEPHAN: "MAL ARIA"

"Schlaft ein. Werdet wehrlos. Ich bin da." Die diese heimtückischen Sätze sagt, ist eine Protagonistin der besonderen art, leichter als ein Wassertropfen und dennoch mit tödlicher Macht: eine Anopheles-Mücke. Sie fungiert als Ich-Erzählerin in einem kleinen aber gemeinen Roman, wenn sie aus ihrer Perspektive ein persönlich erlebtes Drama schildert.

Diese Stechmücke und die deutsche Studentin Carmen stehen im Mittelpunkt von Carmen Stephans Debütroman "Mal Aria", der bereits für den diesjährigen Förderpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung nominiert ist. Ein erzählender Mosquito mag nicht gänzlich neu sein in der Literatur, denkt man an Esther Vilars "Rositas Haut", doch wo es bei ihr vor 20 Jahren zu einer ungewöhnlichen pikanten Dreiecksgeschichte wurde, geht es hier um wahrhaft existentielle Probleme.

Der kleine "Nichtsnutz" - nichts anderes heißt Anopheles - hat Carmen auf einem Ausflug mit ihren Freund in das brasilianische Amazonas-Gebiet ausgespäht. Sie hat sogar Mitleid mit der jungen Frau, denn sie weiß, dass sie tödliches Beiwerk in deren Blut freisetzen wird, doch sie kann nicht anders. Eine Malariamücke muss einfach töten durch ihren Blutsaugerstich, um nicht zu sterben. Und natürlich bahnen sich die tödlichen Parasiten dabei ungewollt ihren zerstörerischen Weg in die Blutbahn des ahnungslosen Opfers.

Die Ich-Erzählerin aber vermag mit Carmens lebensstiftendem Blut in den Adern sogar denken, fühlen und philosophieren wie ein Mensch. Während sie den Leidensweg ihrer Schicksalspartnerin über 13 Tage begleitet, gibt sie mit wunderbar leichtem, schwebend sarkastischem bis arrogantem Duktus Kunde von beeindruckenden Erkenntnissen über das eigene Sein, über die uralte Malaria-Seuche und über den so wenig erfolgreichen Kampf des Menschen dagegen.

Maliziös erinnert der Mosquito daran, dass er nach der Bibel vor dem Menschen da war, denn der wurde erst am letzten Tag geschaffen: "Ihr seid die Eindringlinge in unsere Welt." Und die ganze Hilflosigkeit gegenüber dem Winzling offenbart Carmens Martyrium. Da in Brasilien Malaria eher selten ist, jedoch gerade das Dengue-Fieber grassiert, stellen sämtliche Ärzte die falsche Diagnose. Mit Bedauern schildert der Übeltäter den somit zwangsläufigen Verfall des Opfers.

So real wie unwirklich dieser elegant geschrieben Roman daherkommt, so entwickelt er im Nu eine nie nachlassende Sogwirkung und erweckt beim Leser auf subtile Weise ein kaltes Grauen. Das gepaart mit einer souveränen Prosa und starken Metaphern sorgt für ein ungewöhnliches Lesevergnügen auf hohem Niveau.

 

# Carmen Stephan: Mal Aria; 207 Seiten; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 18,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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