ANNA STOTHARD: "PINK HOTEL"

"Als ich von ihrem Tod erfuhr, kam sie mir das erste Mal halbwegs real vor." 17 war Lily, als sie aus England verschwand, drei Jahre nach der Geburt der Ich-Erzählerin, die nun im unaufgeräumten Schlafzimmer der verstorbenen Mutter steht und verwirrt versucht, die Eindrücke dieser so fremden Frau aufzusaugen.

So beginnt "Pink Hotel", der zweite Roman der jungen Autorin Anna Stothard, der in ihrer britischen Heimat bereits für den "Orange Price for Fiction" nominiert wurde. Namenlos bleibt die knapp 18-Jährige, doch schon bald formt sich ein Bild, das immer mehr Konturen gewinnt. Kein Wunder, dass sie bei der Todesnachricht spontan beschloss, nach Los Angeles zur Totenwache zu fliegen.

20 Stunden später hat sie es mit der von der Stiefmutter geklauten Kreditkarte geschafft, ihre trostlose Gegenwart mit dem lieblosen Vater, den Selbstverletzungen und den Prügeleien und zuletzt auch noch dem Schulverweis erst einmal hinter sich zu lassen. Was sie in dem pink angemalten Hotel, das ihrer Mutter gehörte, nun antrifft, passt zu deren chaotischen Lebensumständen, denn die Totenwache im Erdgeschoss ist zu einer wilden Orgie ausgeartet.

Oben im Schlafzimmer rafft sie nun einige Kleider Lilys zusammen, stopft sie in einen zerschlissenen roten Koffer, den sie unterm Bett findet, und verschwindet ungesehen. Vermeintlich, denn sie wird verfolgt, als sie nun beschließt, vorerst in einem Hostel zu bleiben und Spurensuche in Lilys offenbar sehr aufregendem Leben zu betreiben. Im Koffer entdeckt die knapp 18-Jährige alte Liebesbriefe sowie Fotos, die die Andersartigkeit Lilys zeigen. Die attraktive Blondine war sogar Fotomodell, bevor sie Krankenschwester wurde, wogegen die Ich-Erzählerin ein dunkler androgyner Typ ist.

Während siese über manche schräge Jugendsünden sinniert, taucht sie andererseits immer mehr in die Vita der Mutter ein. Und sie begegnet David, der Lily einst fotografierte und vergötterte - um so überraschender wird ausgerechnet er der erste Liebhaber der sensiblen Kratzbürste. Zugleich findet sie je mehr zu sich selbst, desto mehr sie über Lily erfährt bis hin zu jenem fatalen Motrorradunfall, bei dem sie mit gerade 32 Jahren umkam.

Mit einer exzellenten Mischung aus verletzter Seele, Spannung aber auch Spuren von Humor fesselt diese Tochter-Mutter-Beziehung der besonderen Art von der ersten bis zur letzten Zeile und wartet dabei mit einer cleveren Dramaturgie samt manch überraschenden Wendungen auf. Der Sprachstil und dieses Ambiente eines Los Angeles jenseits aller Glamour-Seiten sorgen zusätzlich für ein hochklassiges Lesevergnügen.

 

# Anna Stothard: Pink HOtel (aus dem Englischen von Hans M. Herzog und Astrid Arz); 355 Seiten, Klappenbroschur; Diogenes Verlag, Zürich;

€ 14,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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