ANITA AUGUSTIN: "DER ZWERG REINIGT DEN KITTEL"

Vier alte Damen sitzen im Knast und finden das gar nicht witzig. Schließlich geht es um schwere Körperverletzung, das Opfer ist die Familienministerin und womöglich segnet sie auch noch das Zeitliche. Wie es dazu kam, versucht der Gefängnispsychologe Dr. Knaup herauszufinden, und als Ich-Erzählerin fungiert dabei Almut Block, Kettenraucherin und seit Ewigkeiten unter Schlaflosigkeit und Gewaltfantasien leidend.

Mit ihrer Vorgeschichte beginnt auch diese bitterböse Satire unter dem Titel "Der Zwerg reinigt den Kittel", mit einer grantig-respektlosen Mischung aus Wiener Schmäh und Berliner Schnauze von der in Berlin lebenden Österreicherin Anita Augustin verfasst. Almut steht unter Rentenschock, denn auch wenn ihr Job im Theater wenig glanzvoll war, jetzt sind die Tage völlig leer. Weshalb sie kettenrauchend und gänzlich antriebslos nur noch im Bett liegt.

Mühsam muss ihr der Psychologe die Würmer in minimalen Dosen aus der Nase ziehen, doch allmählich formt sich eine Geschichte. Die mit einem Anruf auf dem Anrufsbeantworter Almuts endlich Fahrt aufnimmt. Seit 40 Jahren hat sie von Karlotta Könick, der gefürchteten Sportlehrerin, nichts mehr gehört. Nun hat die ebenfalls den Rentenschock-Blues und ruft das alte Quartett zusammen, zu dem auch noch Ex-Krankenschwester Suzanna, die so gerne Menschen beim Sterben zuschaute, sowie Marlen, die Vielfach-Witwe mit dem Hexen-Appeal gehört.

Gemeinsam ist den Vieren der grenzwertige Humor, mit dem die altershässlichen Golden Girls der heftigen Art einen Plan ausbaldowern, um sich trotz karger Rente einen Dauerurlaub mit Vollpension, Wäscheservice und Unterhaltungsprogramm auf Staatskosten zu ergaunern. Dafür ziehen sie in die "Residenz", um dort zehn Tage lang die große Simulation als zitternde, sabbernde und total hilfsbedürftige Greisinnen durchzuziehen, die zur Anerkennung der Pflegestufe 2 fürs künftige Wohlsein nötig ist.

Doch das Altenheim erweist sich als ganz harte Nuss, denn auf dem Gebiet der Täuschung hat diese Verwahranstalt für überflüssigen Menschenmüll den vier wüsten Alten wahrhaftige Herausforderungen zu bieten. Mögen Almuts Schilderungen auch manchen Wechsel der Sichtweisen mit sich bringen und dem von ihr erheblich unterschätzten Seelenklempner bald das Vorliegen einer PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) offenbaren, so steht eines bald fest: "Das Alter ist nicht nicht unbedingt reich an neuen Erfahrungen, das Altenheim schon."

Almut und ihre Mitkämpferinnen erweisen sich bei ihrem Unternehmen durcfhaus nicht als zwingend sympathisch, doch je länger sie gegen würdelose Behandlung, verwahrlostes Material und unfähiges bis sadistisches Personal ankämpfen, desto intensiver drückt man ihnen die Daumen für ihre "Operation Hinterland". Zum Finale, das bei dieser schwankenden Ich-Erzählerin mit einigen Überraschungen aufwartet, geraten da Überlegungen ins Blickfeld, die Erinnerungen an "Einer flog übers Kuckucksnest" geradezu in den Bereich hoffnungstrunkener Sozialromanze verweisen.

Wer sich dieses gallige Stück Realsatire antut, muss eine teils recht rüde Sprache und die ein oder andere Länge akzeptieren, wird dafür aber mit beißend klarem Blick auf verdrängte Wirklichkeit und mit etlichen Szenen haarsträubender Situationskomik belohnt.

 

# Anita Augustin: Der Zwerg reinigt den Kittel; 332 Seiten, Klappenbroschur; Ullstein Verlag, Berlin; 14,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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