SARAH QUIGLEY: "DER DIRIGENT"

Dimitri Schostakowitsch (1906-1975) war der berühmteste Komponist der Sowjetunion und er hatte etliche weltweite Erfolge. Zur Legende aber wurde seine 7. Symphonie, die sogenannte "Leningrader Symphonie", weitgehend in der von 1941 bis 1944 von der deutschen Wehrmacht belagerten Millionenstadt entstanden.

Den Mythen und Legenden um ihre Entstehung und die spektakuläre Radio-Aufführung hat nun die in Berlin lebende neuseeländische Erfolgsautorin Sarah Quigley einen großen Roman gewidmet. "Der Dirigent" lautet der Titel und er weist auf einen zweiten Helden neben Schostakowitsch hin, Auf Karl Eliasberg vom Leningrader Radioorchester, der für die sensationelle Ausstrahlung aus der siechenden Stadt sorgte.

Millionen starben damals durch die Beschießungen, durch Hunger und eisige Kälte und auch der kränkelnde Komponist musste bei den Verteidigungsarbeiten mithelfen. Bis er wie auch die hochkarätigen Musiker des renommierten Symphonieorchesters ausgeflogen wurden, Schostakowitsch allerdings erst auf Drängen der Familie. Wie die jedoch auch unter dessen Genie ständig zurückstehen musste, wenn der selbst im Dröhnen der Bomben um die Noten für die neue Symphonie rang. Ebenso patriotisch wie exzentrisch ordnete er dem künstlerischen Schaffen alles andere unter.

Ihm gegenüber steht die fiktive Figur des Nikolai Sollertinski, ein Freund des Meisters. Dieser Musikprofessor hat bereits seine Frau verloren und lebt nun besonders innig mit seiner jungen Tochter zusammen. Bis auch die verschwindet, zur großen Sorge des Vaters, denn Not und Hunger sind so gewaltig geworden, dass vereinzelt sogar Kannibalismus aufkommt. Während Schostakowitsch dann im Oktober 1941 aus Leningrad geholt wird, um seine patriotische Musik im sicheren Sibirien zu vollenden, muss Eliasberg ausharren und der kommende Winter sollte der extremste des Jahrhunderts werden.

Der Einzelgänger mit den geradezu autistischen Zügen gilt in seinem ohnehin längst stark dezimiertem Orchester als herzloser Zuchtmeister. Was er selbst so kommentiert, dass er sein Herz an Schostakowitsch verloren habe. Als die 7. Symphonie im März 1942 uraufgeführt wird, hat der Meister nur eine Forderung - eine Aufführung im belagerten Leningrad. Und Stalin erfüllt ihm diesen patriotischen Wunsch. Per Flugzeug gelangt das Notenwerk in die Stadt.

Nun ist es Eliasberg, zum Helden der Nation zu werden, als er alles daran setzt, den Befehl umzusetzen. Von den wenigen Musikern, die überhaupt noch leben und in der Lage sind, zu den Proben zu kommen, fallen einzelne vor Entkräftung vom Stuhl und nicht jeder steht wieder auf. Doch sein Hilferuf wird befolgt und er kann die Reihen provisorisch mit Musikern vom Militär auffüllen.

Am 9. August 1942 schließlich werden die deutschen Belagerer vorübergehend durch massierten Beschuss zum Schweigen gebracht und als das Konzert beginnt, wird es nicht nur von sämtlichen sowjetischen Radiosendern übertragen - mittels Lautsprechern schallt es auch zum Feind hinüber. Die sogenannte "Leningrader Symphonie" wird zum musikalischen Jahrhundertereignis von weitreichender psychologischer Wirkung.

Die eigentliche Heldentat Eliasbergs aber war, dass er nicht nur in diesem Elend ein solch gewaltiges Werk einstudiert hatte, sondern dass es ihm gelungen war, dieser gut 75 Minuten währenden komplexen und höchst anspruichsvollen Musik mit einem derartig zusammengewürfelten Haufen gerecht zu werden. Gerade diese Feinheiten des musikalischen Wirkens hat die Autorin kenntnisreich und sehr feinfühlig einfließen lassen.

Zugleich hat sie es geschafft, diesen fesselnden Roman vor realem historischem Hintergrund trotz der rundum schrecklichen Gesamtumstände nicht in Düsternis versinken zu lassen, ja, es blitzt zuweilen sogar ein wenig vom grantigen russischen Humor durch. Fazit: ein großartiger Roman um ein sensationelles Kunstereignis und die beiden ebenso verschiedenen wie gleichermaßen bis zur Selbstaufgabe der Musik hingegebenen Männer.

Der Erstausgabe ist im Übrigen eine CD mit der 7. Symphonie beigefügt, eingespielt vom Russian Philharmonic Orchestra unter Leitung von Dmitri Jablonski.

 

# Sarah Quigley: Der Dirigent (aus dem Englischen von Bettina Abarbanell); 398 Seiten; Aufbau Verlag, Berlin; 22,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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