ISABEL ALLENDE: "MAYAS TAGEBUCH"

Isabel Allende feiert ihren 70. Geburtstag und was kredenzt sie ihren weltweit Millionen von Lesern: die Lebensbeichte einer umtriebigen 19-Jährigen, von dieser verfasst in einer Art Exil auf einer chilenischen Insel fast am Ende der Welt. Und es sei vorweg gesagt: es ist ein großartiges Geburtstagsgeschenk.

"Mayas Tagebuch" lautet der etwas ungenaue deutsche Titel, denn es sind nur grob nach Jahreszeiten datierte Aufzeichnungen dieser Maya Vidal. Die junge Frau, der man die schwedische Mutter deutlich ansieht, ist in Kalifornien geboren und wächst bei den Großeltern auf, weil ihre Eltern sich früh trennten und die Mutter sich absetzte. Gleichwohl hat das Mädchen eine behütete glückliche Jugend - bis der geliebte "Pop" stirbt.

Das wirft Mayas derartig aus der Bahn, dass auch die ebenso emotional wie praktisch veranlagte Großmutter Nidia, die "Nini", fast hilflos mit ansehen muss, wie der Teenager auf die schiefe Bahn abdriftet. Erst sind es neben dem Schulschwänzen nur kleinere kriminelle Streiche, dann aber kommen die falschen Freunde und die echten Drogen. Der endgültige Abstieg beginnt, als Maya aus einem therapeutischen Internat ausbricht und erst an einen brutalen Vergewaltiger gerät und anschließend im Spielerparadies Las Vegas vollends in eine unheilvolle Karriere.

Als flirrender Nachtgeist verteilt sie Drogen in den Casino-Hotels und rutscht dabei selbst in einen ähnlich ungehemmten Drogenkonsum wie ihr skurriler Boss Leeman. Der hat jedoch noch andere Geschäfte laufen und weiht die schlaue und doch so naive Maya schließlich in höchst gefährliche Geheimnisse um Falschgeld ein. Entsprechend brenzlig wird ihre Situation, als Leeman liquidiert wird.

Maya ahnt nicht einmal, wie weit die Kreise reichen, die nun hinter ihrem Wissen her sind. Und ihre Flucht von einem Versteck ins nächste ist begleitet von immer fataleren Drogenexzessen. Da fügt es sich schon sehr glücklich, dass sie in letzter Sekunde aufgefangen wird und endlich auch ihre Nini von dem Absturz erfährt. Nun zeigt die alte temperamentvolle Exil-Chilenin, die 1974 nach der Ermordung ihres Mannes durch das Pinochet-Regime mit ihrem Sohn floh, dass sie bei allem Hang zu Übersinnlichem auch eine gewiefte Kämpferin für ihre Familie sein kann.

So landet Maya dann mit falschem Pass auf der weltabgeschiedenen Insel Chiloé ganz im Süden Chiles. Hier bei Manuel, einem alten Freund der Großmutter, scheint das Leben ähnlich einsam und verloren, wie Maya sich schon lange fühlt. Doch sie erholt sich nicht nur langsam von den letzten Monaten, in dieser kargen, rauen Natur findet sie allmählich wieder zu sich selbst und nicht nur das schonungslose und oft hart sarkastische Niederschreiben in ihre Hefte hilft ihr, auch eine erste echte Liebelei lässt sie ganz normales Liebesglück und Liebesleid erleben.

Zugleich bricht die 19-Jährige die jahrzehntelange Verbitterung Manuels auf, so dass der erstmals über seine Leidenszeit unter der Diktatur zu sprechen vermag, über Folter und Exil. Gewissermaßen eröffnet die mit Chile persönlich eng verbundene Autorin damit auch erneut den Blick auf die Schreckenszeit des Landes, aber ebenso auf das Leben hier mit seinen Sitten, Gebräuchen und allerlei Aberglauben.

Spannend wie selten zuvor erzählt Isabel Allende diese Geschichte, die durchgehend von Maya selbst in ihrer Niederschrift geschildert wird. In gekonnter Dramaturgie wechseln dabei die Schauplätze zwischen Chiloé und den USA und man ist immer wieder erstaunt über die für diese Meisterin des Magischen Realismus ungewöhnlich moderne klare Sprache. Natürlich blitzt wie stets ein subtiler Feminismus durch, sei es bei der zähen Kämpfernatur Maya, sei es bei der notfalls sehr tatkräftigen zarten Großmutter.

Einen zusätzlichen Charme erhält dieser bis zuletzt fesselnde Roman durch diese Wendung, dass hier ausgerechnet eine Exil-Chilenin ihre Enkelin vor üblen Kräften in den USA nach Chile ins Exil zu retten versucht. Fazit: ein wunderbares Stück Literatur von einer 70-Jährigen, die kein bisschen alt ist sondern ganz und gar und sehr souverän im Heute.

 

# Isabel Allende: Mayas Tagebuch (aus dem Spanischen von Svenja Becker); 447 seiten; Suhrkamp Verlag, Berlin; € 24,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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