THOMAS MEDICUS: "MELITTA von STAUFFENBERG"

Als sensationelle Fliegerinnen schon in den 30er Jahren waren Elly Beinhorn und noch mehr die püppchenhafte Hanna Reitsch berühmt und ihre Namen sind noch heute geläufig. Dabei lief ihnen eine dritte mit ihren Leistungen bei weitem den Rang ab und diese Melitta von Stauffenberg hatte obendrein das weitaus interessantere und in manchen Aspekten schier unglaubliche Leben.

Unter dem Titel "Melitta von Stauffenberg. Ein deutsches Leben" ist der versierte Publizist Thomas Medicus der Vita und vor allem auch dem Rätsel dieser ungewöhnlichen Frau nachgegangen. 1903 wurde sie als Tochter des königlich-preußischen Landesbauinspektors Michael Schiller in Krotoschin, Provinz Posen, geboren. Dass er ein assimilierter Jude war, hatte keinerlei Auswirkungen auf den recht außergewöhnlichen Berufsweg, den die sportliche junge Frau dann anstrebte.

Sie studierte Mathematik, Physik und Flugmechanik und wurde 1927 Diplomingenieurin. Schon 1928 arbeitete sie in der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL). Sie erwarb bald sämtliche Fluglizenzen und erhielt als zweite nach ihrer dauerhaften Intimfeindin Hanna Reitsch den Rang eines "Flugkapitäns". Wobei sie für Reichsluftmarschall Hermann Göring die ungleich wichtigere war, denn sie fungierte alsbald nicht nur als Testfliegerin, sie war als Ingenieurin mit ihren vielen, oft mit Patenten bedachten technischen Entwicklungen so bedeutsam für die Sturzkampffliegerei, dass sie sogar eine eigene Forschungsstelle bei der DVL bekam.

Doch ihre Herkunft als "jüdischer Mischling" 1. Grades (ihre Mutter war "Vollarierin") ließ sich nicht auf Dauer kaschieren. Nach ihrer Hochzeit mit Alexander Graf Schenk von Stauffenberg, dem Bruder des späteren Hitler-Attentäters Claus, stößt die SS auf die nicht rassenreine Abkunft. Und nun zeigt sich, wie hochrangig das Wirken von "Flugkapitän Gräfin Stauffenberg" eingeschätzt wurde. Ihr Antrag auf Arisierung wurde von Göring persönlich derartig gefördert, dass sie am 25. Juni 1941 als eine von kaum 300 Betroffenen vom Reichssippenamt die Bescheinigung eines "Deutschblütigen gleichgestellten jüdischen Mischling ersten Grades" erteilt bekam.

Die Spezialistin für Zielvorrichtungen für den Bombenabwurf, die an manchen Tagen bis zu 15 Teststurzflüge hauptsächlich mit Ju 87 und Ju 88 absolvierte, ließ sich auch als Propagandistin für das NS-Regime nach Stockholm schicken. Die geradezu flugsüchtige "Stuka-Amazone" wurde 1943 sogar von Mentor Göring als Nicht-Soldatin mit dem Eisernen Kreuz und dem Goldenen Militärflugabzeichen mit Brillanten und Rubinen geehrt.

Privat lebte die kühle Asketin offenbar in einer durchaus innigen Ehe mit dem Literaturwissenschaftler Stauffenberg, gleichwohl schildert Biograph Medicus recht detailliert auch eine leidenschaftliche Affäre mit einem jungen Piloten, dessen Absturz sie offenbar nie ganz verwinden konnte.

Während der Kriegsverlauf ihre Loyalität gegenüber dem Regime nicht nachweislich erschütterte, gab und gibt es Behauptungen, die Fliegerin sei in die Attentatspläne ihres Schwagers eingeweiht oder gar involviert gewesen. Vor allem ihre Schwestern dichteten ihr sogar Eigenschaften einer Widerstandskämpferin an. Medicus aber stellt bei seinen sehr gründlichen Schilderungen der bekannten Vorgänge klar, dass Melitta von Stauffenberg am 20. Juli 1944 einen Werkstattflug mit einer Ju 88 absolvierte. Für eine wie auch immer geartete Beteiligung von ihrer Seite, so stellt er dezidiert fest, gibt es im Übrigen keinerlei stichhaltige Belege.

Im Zuge der sofort vollzogenen Sippenhaft wird die Ingenieurin gleichwohl wie auch ihr Ehemann umgehend verhaftet. Auch der Biograph kann nun nur mutmaßen, ob sie sich daraufhin gegen das Regime gewandt hat. Fest steht jedoch, dass sie wegen ihrer Kriegswichtigkeit - sie arbeitete gerade an Methoden für Nachtlandungen von Jagdflugzeugen - schon sechs Wochen später aus der Haft entlassen wurde.

Sie knüpfte nun Kontakte zu inhaftierten Familienmitgliedern, doch die Quellenlage über Absichten und Erreichtes ist unergiebig, zumal die Gräfin nur wenige Schriftzeugnisse von sich gab. Als sie am 8. April 1945 auf einem geheimnisumwitterten Flug von einem US-Kampfflieger über Bayern abgeschossen wurde, soll sie geheime Unterlagen bei sich gehabt haben. Bewiesen ist nichts und ihr privater Nachlass wurde obendrein gegen Kriegsende bei einem Bombenangriff zerstört.

Dieses Leben voller Unwahrscheinlichkeiten bleibt so in vielem rätselhaft, doch immerhin konnte Medicus in seinen jahrelangen Recherchen einige Mutmaßungen und Glorifizierungen entkräften. Trotz der verbleibenden Lücken ist dies eine fesselnde Biographie um eine rastlose extreme Persönlichkeit, deren Vita viel zu lange im Schatten verblieben war.

 

# Thomas Medicus: Melitta von Stauffenberg. Ein deutsches Leben; 414 Seiten, div. Abb.; Rowohlt Verlag, Berlin; € 22,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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