RACHEL JOYCE: "DIE UNWAHRSCHEINLICHE PILGERREISE DES HAROLD FRY"

Harold und Maureen Fry sind ein sehr durchschnittliches Ehepaar im südenglischen Städtchen Knightsbridge. Harold war 45 Jahre lang Brauereiangestellter und jetzt als Rentner erscheint er noch langweiliger als bisher. Maureen meckert an ihm herum, wenn sie überhaupt noch mit ihm redet. Man hat sich auseinandergelebt und Harolds innere emotionale Distanz schlug besonders gegenüber Sohn David durch, der nicht mehr da ist.

Da kommt überraschend ein Brief von Queenie Hennessy. Die Kollegin, die er seit 20 Jahren nicht mehr gesehen hat, will sich von ihm verabschieden, sie habe Krebs. Bestürzt schreibt Harold ein paar karge Zeilen und geht mit dem Brief zum Briefkasten, und zum nächsten und einfach immer weiter. Bald hat er eine Begegnung mit einer Bedienung in einer Tankstelle und die erzählt ihm etwas von der Kraft des Glaubens an die Heilung.

Und wie selbstverständlich ruft Harold in dem Hospiz an, in dem Queenie im Sterben liegt, und lässt ihr ausrichten, er werde sich auf den Wag zu ihr machen. Sie solle durchhalten, denn er komme zu Fuß und er wolle sie nicht noch einmal im Stich lassen. Damit beginnt "Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry", der einzigartige Debütroman der hörspielerfahrenen Rachel Joyce. Dieser so unscheinbare Harold geht einfach los, spontan, in Segeltuchschuhen und ohne jede Ausrüstung für so etwas. Später hat er nicht mal mehr sein Handy oder eine Kreditkarte.

Doch diese Reise, die sich schließlich über fast 1000 Kilometer über 87 Tage bis zu dem Hospiz an der schottischen Grenze hinziehen wird, ist auch eine Reise ins Innere dieses Menschen Harold, in seine Erinnerungen, sein ganzes Leben. Schmerzliches wie die unglückliche Kindheit kommt hoch, das Erkalten der Gefühle zwischen Maureen und ihm, und dass er nie richtig mit seinem Sohn zusammengefunden hat. Diese innere Reise ist spannend und sie offenbart allmählich, dass Harold nicht der Langweiler ist, als der er eingangs erschien.

Auf seinem langen Weg kommt es zu vielen Begegnungen mit Menschen, die ihm ihr Herz ausschütten. Mit jeder neuen Erfahrung findet er auch tiefer zu sich selbst, stößt auf Peinliches aber auch Schönes, während er für manche Wegbegleiter gar zu einer Art Guru wird. Bis sich der Kreis dieser bis zuletzt fesselnden Geschichte mit souveräner Leichtigkeit schließt, eröffnen sich manche Geheimnisse und alles ergibt mit all seinen Überraschungen ein ebenso stimmiges wie zutiefst berührendes Ganzes.

Die Charakterzeichnungen sind meisterhaft gelungen und Rachel Joyce verzaubert mit ihren wundervollen Metaphern und der großen Fähigkeit, mit wenigen einfachen Sätzen einen wahren Ozean an Gefühlen wie Schmerz, Sehnsucht aber auch Heiterkeit und Liebe zu schaffen. Fazit: dies ist eines jener unvergesslichen Bücher, die den Leser auf hohem literarischen Niveau zu verändern vermögen mit ihrer Lebensklugheit und vielen nahezu spielerischen Denkanstößen.

 

# Rachel Joyce: Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry (aus dem Englischen von Maria Andreas); 381 Seiten; Krüger Verlag, Frankfurt; € 18,99 .

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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